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Body Farm

Body Farm

Titel: Body Farm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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heruntertropfende blutige Wasser aufzusaugen, hatte ich Handtücher auf dem Boden ausgebreitet. Dann führte ich Wesley ins Schlafzimmer zurück. Er humpelte zur Scotch-Flasche und schenkte sich nach.
    »Nebenbei gesagt, reizt mich dieser Whisky da drüben schon, aber vor einer Operation trinke ich nicht«, sagte ich.
    »Ich sollte Ihnen wohl dankbar sein.«
    »Ja, das sollten Sie.«
    Er setzte sich auf das Bett, und ich zog den Stuhl heran. Ich riß mehrere der Betadine-Päckchen auf und tupfte die Wunden ab.
    »Himmel«, schnaufte er. »Was ist das, Batteriesäure?«
    »Es ist desinfizierendes Jod zur örtlichen Behandlung.«
    »So etwas haben Sie in Ihrer Arzttasche?«
    »Ja.«
    »Mir war bisher nicht bewußt, daß für die Mehrzahl Ihrer Patienten Erste Hilfe überhaupt noch zur Wahl stand.«
    »Leider ist das auch nicht der Fall. Aber ich kann nie wissen, wann ich es mal brauche.« Ich griff nach der Pinzette. »Oder jemand anderer in meiner Nähe - wie Sie zum Beispiel.« Ich zog einen Glassplitter heraus und legte ihn auf das Handtuch. »Ich weiß, es ist möglicherweise ein schwerer Schock für Sie, Special Agent Wesley, aber meine medizinische Karriere habe ich mit lebenden Patienten begonnen.«
    »Und seit wann sterben Sie Ihnen ständig weg?«
    »Von Anfang an.«
    Er verkrampfte sich, als ich einen winzig kleinen Splitter herauszog.
    »Halten Sie still«, sagte ich.
    »Was hat Marino eigentlich für ein Problem? Er benimmt sich in letzter Zeit wie der letzte Arsch.« Ich legte zwei weitere Splitter auf das Handtuch und stillte die Blutung mit Gaze. »Nehmen Sie lieber noch einen Schluck.«
    »Warum?«
    »Ich habe jetzt alle Glassplitter heraus.«
    »Sie sind also fertig, und wir können feiern.« So erleichtert hatte ich ihn noch nie gehört.
    »Noch nicht ganz.« Ich beugte mich dicht über seine Hand und war zufrieden. Ich hatte nichts übersehen. Dann öffnete ich ein Päckchen mit Nähmaterial. »Ohne Novocain?« protestierte er.
    »Bei den wenigen Stichen, die ich zum Schließen dieser Schnitte machen muß, würde Ihnen eine Betäubungsspritze genauso weh tun wie dies hier«, erklärte ich ruhig und ergriff die Nadel mit der Pinzette.
    »Trotzdem wäre ich für Novocain.«
    »Na ja, ich habe gar keins. Sie sollten lieber nicht hinsehen. Wollen Sie, daß ich den Fernseher einschalte?«
    Wesley sah stoisch in die andere Richtung und antwortete mit zusammengebissenen Zähnen: »Bringen wir es hinter uns.«
    Er gab keinen Ton von sich, während ich meine Arbeit tat. Aber wenn ich zufällig seine Hand oder sein Bein berührte, spürte ich, wie er zitterte. Als ich seine Wunden schließlich mit einem Antibiotikum versorgte und mit Gaze abdeckte, atmete er tief durch und entspannte sich sichtlich. »Sie sind ein guter Patient.« Ich klopfte ihm auf die Schulter und stand auf.
    »Meine Frau ist da aber anderer Meinung.«
    »Meine Frau« - ich konnte mich nicht erinnern, wann er Connie zum letztenmal beim Namen genannt hatte. Die wenigen Male, die er sie überhaupt erwähnte, klang es immer wie die flüchtige Erwähnung einer Naturgegebenheit, wie der Schwerkraft zum Beispiel, der er sich plötzlich bewußt zu werden schien.
    »Setzen wir uns nach draußen, um noch etwas zu trinken«, sagte er.
    Die Zimmer hatten keine einzeln abgetrennten Balkons, vielmehr trat man auf eine Art Außengang, der um den ganzen ersten Stock herumlief. Zu dieser späten Stunde waren jedoch die wenigen eventuell noch wachen Gäste zu weit entfernt, um unser Gespräch hören zu können. Wesley stellte dicht nebeneinander zwei Plastikstühle auf. Da es keinen Tisch gab, mußte er Scotch-Flasche und Gläser auf den Boden stellen.
    »Möchten Sie noch Eis?« fragte er.
    »Das hier genügt.«
    Er hatte das Licht im Zimmer ausgeschaltet. Die Schatten der Bäume über uns schwankten im Wind, und je länger ich hinaufsah, desto mehr schien es mir, als wiegten sie sich im Takt. Ab und zu zogen in der Ferne auf dem Highway kleine Lichtpunkte von Scheinwerfern vorüber.
    »Wenn Sie eine Skala von eins bis zehn für Grauenhaftigkeit hätten, wo würden Sie dann den heutigen Tag einordnen?« fragte er leise in die Dunkelheit. Ich zögerte, denn ich hatte in meiner beruflichen Laufbahn viele grauenhafte Tage erlebt
    . »Vermutlich bei der Sieben.«
    »Wobei die Zehn das Schlimmste wäre.«
    »Die habe ich noch nicht gehabt.«
    »Was würde das sein?« Ich spürte seinen Blick auf mir.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich abergläubisch, als

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