Body Farm
die Straße, die rechts den Berg hinaufführt. Da oben lebten früher nur Bergbewohner. Sie würden sie wahrscheinlich Hinterwäldler nennen. Aber in den letzten zwanzig Jahren sind viele von ihnen von dort weggezogen, und Leute wie Creed sind an ihre Stelle gerückt.«
Er schwieg einen Augenblick, holte tief Luft und sah nachdenklich in die Ferne. »Man kann sein Haus schon von unten, von der Straße aus, sehen. Auf der Veranda steht eine alte Waschmaschine, und seinen Abfall schmeißt er größtenteils nach hinten in den Wald.«
Er seufzte. »Tatsache ist leider, daß Creed nicht gerade der Hellste ist.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, er hat Angst vor allem, was er nicht versteht. Und was hier so passiert, versteht er eben nicht.«
»Das hieße also, Sie glauben auch nicht, daß er etwas mit dem Tod der kleinen Steiner zu tun hat«, sagte ich.
Lieutenant Mote schloß die Augen. Der Monitor über seinem Bett zeigte eine konstante Pulsfrequenz von 66. Er wirkte sehr müde.
»Nein, Ma'am, nicht eine Minute habe ich das geglaubt. Aber er ist weggelaufen, und dafür muß er einen Grund haben. Das geht mir nicht aus dem Kopf.«
»Sie sagten, er hatte Angst. Das scheint mir Grund genug.«
»Aber ich habe das Gefühl, daß da noch etwas ist. Doch soviel ich auch brüte, ich komme nicht darauf. Ich kann absolut nichts tun. Jedenfalls nicht, solange sich nicht alle der Reihe nach draußen vor meiner Tür aufstellen und von mir nach Strich und Faden ausfragen lassen. Und das wird wohl sicher nicht passieren.«
Ich hatte das Gespräch eigentlich nicht auf Marino kommen lassen wollen, aber es mußte wohl sein. »Was ist mit Captain Marino? Hat er sich oft sehen lassen?«
Mote blickte mich direkt an. »Er war kürzlich da und hat mir eine Flasche Wild Turkey mitgebracht. Sie steht da drüben im Schrank.« Er hob einen Arm von der Decke und zeigte hin.
Wir schwiegen einen Augenblick. »Ich soll eigentlich nichts trinken«, fügte er hinzu.
»Dann hören Sie auch auf die Ärzte, Lieutenant Mote. Sie müssen mit der ganzen Geschichte leben, und das heißt, Sie sollten nichts tun, was Ihnen schadet.«
»Ich weiß. Ich werde auch das Rauchen aufgeben müssen.«
»Das geht dann schon. Ich habe auch geglaubt, ich schaffe das nie.«
»Fehlt es Ihnen noch?«
»Mir fehlt nicht das Gefühl, das ich dabei hatte.«
»Das gilt bei mir für jede schlechte Angewohnheit, aber das habe ich nicht gemeint.«
Ich lächelte. »Ja, es fehlt mir. Aber immer weniger.«
»Ich habe Pete gesagt, ich will nicht, daß er so endet wie ich hier, Dr. Scarpetta. Aber er ist ein Dickschädel.«
Ich erinnerte mich gar nicht gern daran, wie Mote da auf dem Boden gelegen hatte, blau angelaufen, und ich mich bemüht hatte, sein Leben zu retten. Für mich war es nur eine Frage der Zeit, bis Marino die gleiche Erfahrung machte. Ich dachte an das fette, gebratene Steak zu Mittag, seine neuen Klamotten, den Wagen, sein seltsames Benehmen, das mir den Eindruck vermittelt hatte, als wolle er mich nicht mehr kennen. Und der einzige Weg dorthin war eine Verwandlung in einen Menschen, den ich so nicht mehr kannte.
»Gewiß, Marino hat sich sehr in die Sache hineingehängt. Der Fall ist entsetzlich aufreibend«, sagte ich ohne rechte Überzeugung.
»Mrs. Steiner kann an kaum etwas anderes denken, und daraus mache ich ihr auch gar keinen Vorwurf. Ich an ihrer Stelle würde auch alles nur Erdenkliche tun, um den Mord an der Kleinen aufzudecken.«
»Was hat sie denn alles getan?« fragte ich.
»Sie besitzt eine Menge Geld«, sagte Mote.
»Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht.« Mir fiel Mrs. Steiners Wagen ein.
»Sie hat die Ermittlungsarbeit sehr unterstützt.«
»Unterstützt?« fragte ich. »Auf welche Weise genau?«
»Mit neuen Wagen. Wie der, den Pete fährt. Irgendwer muß all das schließlich bezahlt haben.«
»Ich dachte, das war eine Spende hiesiger Geschäftsleute.«
»Also, dazu muß ich sagen, was Mrs. Steiner gemacht hat, hat andere angeregt, es ihr nachzutun. Sie hat erreicht, daß jeder in der Umgebung sich mit dem Fall beschäftigt und mit ihr fühlt. Keine Menschenseele will schließlich, daß so etwas noch einmal passiert, weder dem eigenen Kind noch einem fremden. Zweiundzwanzig Jahre bin ich jetzt bei der Polizei, aber einen solchen Fall habe ich noch nie erlebt.«
»Hat sie tatsächlich den Wagen bezahlt, den ich fahre?« Es kostete mich große Anstrengung, nicht lauter zu werden oder die Ruhe zu
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