Body Farm
sagte Marino.
»Es ist jetzt zehn vor zwei.« Wesley stand auf. »Wir treffen uns um sechs im Hotel und arbeiten einen Plan aus.«
»Ich erinnere dich nicht gern daran«, sagte ich zu ihm. »Aber es ist ein Motel und kein Hotel, und im Moment haben wir beide keinen Wagen.«
Marino nahm das »Du« zwischen uns zur Kenntnis, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich nehme Sie zum Travel-Eze mit. Ihr Wagen müßte eigentlich schon dort auf Sie warten. Und für Sie, Benton, können wir auch einen besorgen, wenn Sie glauben, Sie brauchen einen«, sagte er, als sei er der neue Polizeichef oder gar der Bürgermeister von Black Mountain.
»Ich weiß im Augenblick noch nicht, was ich brauchen werde«, sagte Benton.
13
Lieutenant Mote war in ein Einzelzimmer verlegt worden, als ich ihn noch am selben Tag besuchte. Sein Zustand war stabil, doch er wurde ständig überwacht. Um nicht mit leeren Händen zu kommen, hatte ich vorher einen Abstecher in den Geschenkladen des Krankenhauses gemacht. Die gläserne Kühlbox dort bot allerdings nur eine sehr kleine Auswahl von Blumensträußen.
»Lieutenant Mote?« Ich zögerte ein wenig an der Tür. Er saß im Bett, ein Kissen im Rücken, und döste bei laut laufendem Fernseher. »Hallo«, sagte ich ein wenig lauter.
Er öffnete die Augen und wußte einen Moment lang nicht, wer ich war. Dann fiel es ihm ein, und er lächelte so selig, als hätte er seit Tagen von mir geträumt. »Gütiger Gott, Dr. Scarpetta. Ich hätte nie gedacht, daß Sie hier noch rumhängen.«
»Es tut mir leid wegen der Blumen. Da unten hat man keine große Auswahl.« Ich stopfte einen jämmerlichen Strauß aus Chrysanthemen und Margeriten in eine bauchige grüne Vase. »Hier passen sie ganz gut her, oder?« Ich fand einen Platz auf der Kommode und stellte mit Bedauern fest, daß der einzige andere Blumenstrauß im Zimmer noch jämmerlicher aussah als meiner.
»Wenn Sie einen Moment Zeit haben, dort drüben ist ein Stuhl.«
»Wie geht es Ihnen?« fragte ich.
Er war blaß und hatte abgenommen. In seinen Augen lag ein müder, kränklicher Ausdruck, als er aus dem Fenster in den schönen Herbsttag hinausstarrte.
»Na ja, ich versuche mich gewissermaßen über Wasser zu halten«, sagte er. »Man weiß so wenig, was der nächste Tag bringt. Aber dafür denke ich ans Angeln und an meine Holzarbeiten. Das sind Dinge, die ich gern tue. Wissen Sie, schon seit Jahren würde ich mir gern irgendwo eine kleine Blockhütte bauen. Außerdem schnitze ich gern Wanderstöcke aus Lindenholz.«
»Lieutenant Mote«, sagte ich zögernd, denn ich wollte ihn nicht aufregen. »Hat Sie mal jemand aus Ihrem Revier besucht?«
»Ja, sicher«, antwortete er und starrte weiter hinaus in den wunderbar blauen Himmel. »Ein paar Kumpel sind vorbeigekommen oder haben angerufen.«
»Wie finden Sie die Entwicklung im Fall Steiner?«
»Nicht allzu gut.«
»Warum?«
»Also, zum einen, weil ich selbst nicht dabei bin. Zum andern, weil jeder in eine andere Richtung zu tendieren scheint. Das beunruhigt mich irgendwie.«
»Sie haben den Fall von Anfang an bearbeitet«, sagte ich. »Sie müssen Max Ferguson recht gut gekannt haben.«
»Wohl doch nicht so gut, wie ich dachte.«
»Wissen Sie, daß er in Verdacht steht?«
»Ich weiß. Ich weiß alles.«
Die Sonne, die durch das Fenster fiel, ließ seine Augen blaß, fast wäßrig erscheinen. Er blinzelte ein paar Tränen weg, wobei ich nicht hätte sagen können, ob ihn nur das helle Licht blendete oder einfach seine Gefühle mit ihm durchgingen. Dann sprach er weiter. »Ich weiß auch, daß Sie sich Creed Lindsey vornehmen wollen. Für beide ist es eine Schande!«
»In welcher Hinsicht?«
»Nun ja, Dr. Scarpetta, Max ist nun einmal nicht hier, um sich zu verteidigen.«
»Ja, das ist richtig«, stimmte ich zu.
»Und Creed wüßte nicht einmal, wie er sich verteidigen sollte, selbst wenn er da wäre.«
»Wo ist er denn?«
»Wie ich hörte, ist er irgendwo untergetaucht, und das nicht zum erstenmal. Als er diesen kleinen Jungen überfahren und getötet hatte, war es dasselbe. Alle hielten Creed eindeutig für schuldig. Darum verschwand er und tauchte irgendwann wieder auf, so plötzlich, wie er verschwunden war. Das macht er immer wieder mal, daß er ins Schwarzenviertel abhaut und sich die Hucke vollsäuft.«
»Wo wohnt er?«
»In einer Seitenstraße der Montreat Road, drüben in Rainbow Mountain.«
»Ich fürchte, da finde ich nicht hin.«
»Wenn Sie zum Montreat-Tor fahren, ist es
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