Bodyfinder - Das Echo der Toten
Mitternacht gefahren und Violet hatte sich so sehr darauf gefreut, ihn am nächsten Morgen in der Schule wiederzusehen.
Aber jetzt war sie einfach nur erschöpft.
Bevor sie nach unten ging, duschte sie in der Hoffnung, etwas wacher zu werden.
Und tatsächlich fühlte sie sich bedeutend frischer, als sie eine Viertelstunde später die Treppe hinunter in die Küche ging.
Ihre Eltern saßen schon am Frühstückstisch – zusammen mit Onkel Stephen, der ungefähr so aussah, wie Violet sich noch vor ein paar Minuten gefühlt hatte. Todmüde.
Seine Augen waren rotgerändert und blutunterlaufen. Er wirkte alt.
In den Händen hielt er einen Becher mit Kaffee, der sicher so stark war, dass er Violet die Schuhe ausziehen würde. Onkel Stephen trank seinen Kaffee am liebsten schwarz und besonders stark.
»Hi, Stephen.« Sie betrachtete ihn neugierig und setzte sich an den Tisch. Am liebsten hätte sie ihn sofort über den gestrigen Tag ausgequetscht, aber sie beschloss, lieber abzuwarten.
Zur Begrüßung nickte er ihr zu. Anstatt etwas zu sagen, sah er ihren Vater mit hochgezogenen Augenbrauen an, als erwartete er, dass sein Bruder das Wort ergriff.
Und auf einmal verstand Violet: Irgendetwas stimmte nicht.
Sie schaute von Stephen zu ihrem Vater und dann zu ihrer Mutter, die nur mit den Schultern zuckte. Die Spannung war fast greifbar.
Als ihr Vater endlich sprach, wirkte er nicht gelassen wie sonst, sondern starr und angestrengt. »Dein Onkel war die ganze Nacht auf der Wache. Seit gestern Nachmittag haben sie so viele Informationen wie möglich gesammelt und auf viele Fragen Antworten finden können. Sie wollen bei diesem Fall keinen Fehler machen, deshalb arbeiten sie besonders gründlich.«
»Hm-hm«, machte Violet und gab ihrem Vater zu verstehen, dass er ruhig etwas schneller zur Sache kommen konnte. »Was ist mit einem Geständnis?«, fragte sie jetzt an ihren Onkel gewandt. »Hat er irgendwas zugegeben?«
Ihr Onkel nickte mit trüben Augen. »Alles. Er hat alle möglichen entsetzlichen Sachen zugegeben, die er den armen Mädchen angetan hat. Er hat mehr zugegeben, als wir wissen wollten. Offenbar geht die Sache schon seit Jahren, im ganzen Bundesstaat.« Er schaute zu ihrem Vater, als ob er um Erlaubnis bat, weitersprechenzu dürfen, und als ihr Vater nickte, sagte ihr Onkel: »Er hat sogar den Mord an dem Mädchen gestanden, das du gefunden hast.«
Violet begriff nicht. Natürlich hatte er das Mädchen ermordet, das sie gefunden hatte, das war ihr in dem Moment bewusst geworden, als sie den öligen Schimmer auf seiner Haut gesehen hatte.
Ihr Blick musste ihre Gedanken verraten haben, denn ihr Onkel fügte hinzu: »Nein, Violet, nicht das Mädchen im See. Das andere Mädchen. Das du gefunden hast, als du acht warst, im Wald beim Fluss. Sie war sein erstes Opfer. Er sagte, als sie so bald gefunden wurde, nachdem er sie begraben hatte, bekam er es mit der Angst zu tun. Er konnte ja nicht wissen, dass ein achtjähriges Mädchen mit der besonderen Gabe, Tote aufzuspüren, über sie stolpern würde. Als sie entdeckt wurde, beschloss er, seine Opfer weiter von seinem Wohnort entfernt zu suchen. Deshalb gab es jahrelang keine Opfer hier bei uns.«
Violet wusste nicht, was sie zuerst fragen sollte, also entschied sie sich für das Offensichtlichste. Das, was ihr am meisten auf der Seele lag. »Und, wo wohnt er?«
Sie sah, wie ihre Mutter auf der anderen Seite des Tisches ihren Bademantel fester um sich zog.
»Er wohnt hier in Buckley. Ein bisschen außerhalb der Stadt. Zwischen Buckley und Enumclaw hat er etwa acht Hektar Ackerland. Er hat den größten Teil seinesLebens dort verbracht«, erklärte Onkel Stephen. Und als wäre er wütend auf sich selbst, weil er den Mörder nicht eher gefunden hatte, fügte er hinzu: »Direkt vor unserer Nase.«
Violet lief ein Schauer über den Rücken. Das war nah. Zu nah.
Doch es wunderte sie nicht, dass er bisher niemandem aufgefallen war.
Er hatte nichts Außergewöhnliches an sich. Nichts an ihm erweckte Misstrauen oder Angst. Er ging in der Masse unter.
»Wenn er schon gestanden hat, wieso siehst du dann so besorgt aus?«, fragte Violet.
Onkel Stephen tauschte einen Blick mit ihren Eltern, und ihr Vater ergriff das Wort.
»Sie brauchen dich noch mal, Violet.« Er räusperte sich. »Onkel Stephen möchte dich um deine Hilfe bitten.«
»Warum? Ihr habt ihn doch. Er hat gestanden. Das klingt doch alles logisch.« Sie schaute ihren Onkel an. »Wofür braucht ihr mich
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