Bodyfinder - Das Echo der Toten
Hunderte Male gesehen. Aber heute betrachtete er es mit anderen Augen
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Er blieb außer Sichtweite, beobachtete, wie die Polizisten kamen und gingen, Beweisstücke kennzeichneten und Pappkartons zu ihren Wagen trugen. Das Haus, das er schon so oft besucht hatte, war zu einem Tatort geworden. Oder wenigstens Teil einer Ermittlung
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Er begriff immer noch nicht, was sie falsch gemacht hatten und wie sie hatten auffliegen können. Nun ja, er warnicht aufgeflogen, aber die Folgen für ihn waren ebenso katastrophal
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Sie hatten ihnen das Handwerk gelegt, ihm und seinem Partner
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Ihre perfekte Mordserie war zu Ende
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Also schaute er zu und wartete ab, um sicherzugehen, dass sie ihm nichts von dem Schlamassel hier anhängen konnten
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Es überraschte ihn nicht sonderlich, den Polizeichef in seinem Zivilfahrzeug zu sehen. Doch nicht der Wagen von Stephen Ambrose erregte seine Aufmerksamkeit, sondern das Auto dahinter, in dem ein Mädchen saß, dem er schon mehrere Male begegnet war, zuletzt gestern bei der Suche nach Mackenzie Sherwin
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Sie war ihm im Wald aufgefallen, als die halbe Stadt nach einem Mädchen suchte, das man nie finden würde. Jedenfalls nicht lebend
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Wären sie dort allein gewesen, nur er und sie, ohne all die Leute vom Rettungseinsatz und die freiwilligen Helfer, wäre die Geschichte vielleicht ganz anders ausgegangen
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Reglos stand er da, während er sie beobachtete, eine Fähigkeit, die er sich in den Jahren beim Militär angeeignet hatte
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Nach der zufälligen Begegnung mit ihr hatte er erfahren, dass sie die Nichte von Polizeichef Ambrose war. Bis zu diesem Augenblick hatte er nicht weiter darübernachgedacht, welche Rolle sie bei der Festnahme seines Partners gespielt hatte, während er im Wald auf seinem Posten gestanden und Wache gehalten hatte
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Aber jetzt war sie hier. Merkwürdiger Zufall
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Er schaute zu, wie sie dem Polizeichef und einem anderen Mann, vermutlich ihrem Vater, vorausging. Er sah, wie Ambrose die Stellen markierte, auf die sie zeigte
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Da stimmte etwas nicht. War es wirklich Zufall, dass sie gestern im Wald gewesen war und heute auf dem Hof auftauchte? Sie wusste irgendwas, aber woher?
Er hatte keine Ahnung, doch er konnte kein Risiko eingehen. Seinen Partner hatten sie schon geschnappt, er durfte ihnen nicht auch noch in die Falle gehen. Er wusste, was er zu tun hatte
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Er musste sie aufhalten. Sie zum Schweigen bringen. Ein für alle Mal
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Nur so war er in Sicherheit. Nur so würde er wieder die Freiheit haben, auf die Jagd zu gehen
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Die Nichte des Polizeichefs musste sterben
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20. KAPITEL
Am nächsten Morgen wurde Violet von einer nie da gewesen Nervosität gepackt. Ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um Hailey McDonald, für die sie nun nichts mehr tun konnte, und um Mackenzie Sherwin, deren Schicksal ungewiss war.
Außerdem hatte sie Angst davor, Jay wiederzusehen. In der Schule. Wie würde er sich ihr gegenüber vor ihren Freunden verhalten. Und in Gegenwart von Lissy und Grady?
Violet hatte Jay seit Samstagnacht nicht mehr gesehen. Sonntag hatte er angerufen und ihr gesagt, dass er mitseiner Mutter zu den Großeltern fuhr, die zwei Stunden entfernt wohnten.
Aber darüber, wie sie nun zueinander standen, hatten sie kein Wort verloren.
Irgendwie hoffte sie, ihre neue Beziehung geheim halten zu können, jedenfalls noch ein bisschen – bis sie sich über alles im Klaren war.
Aber sie hatte keine Ahnung, wie es Jay damit ging.
Es war merkwürdig, in seine Einfahrt einzubiegen, wie sie es schon unzählige Male gemacht hatte. Sie sah, wie die Tür aufging, aber statt Jay steckte seine Mutter den Kopf zur Tür heraus und winkte Violet überschwänglich zu. Sie winkte zurück.
Sie weiß Bescheid, dachte Violet. Jays Mutter weiß Bescheid.
Jay drückte sich an seiner Mutter vorbei und kam auf Violet zu.
Er lächelte ihr zu und ihr wurde klar, dass er nicht vorhatte, ihre Beziehung geheim zu halten.
Als Jay auf den Beifahrersitz glitt und seine Schultasche auf die Rückbank warf, fingen die Schmetterlinge in Violets Bauch wieder wie verrückt an zu flattern.
Er lehnte sich zurück und grinste sie an. »Bist du bereit?«, fragte er, als ob er ihr Zögern spürte.
Violet zog einen Schmollmund und schaltete in den Rückwärtsgang. »Hab ich eine Wahl?«
Jay kicherte, legte ihr zärtlich eine Hand unters Kinn und strich ihr mit dem Daumen über die Wange. »Nicht, wenn ich dabei etwas mitzureden habe«, sagte er und lachte.
In der Schule war es genauso,
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