Boerewors und Chardonnay: Ein Jahr in Südafrika
Industrie, keine Dienstleistungsbetriebe, kaum Arbeitsstellen. Die Familien versuchen, sich mit ein paar Kühen, Ziegen und Hühnern durchzuschlagen, und wer Glück hat, wird von einem Verwandten mit einer Arbeitsstelle in Johannesburg oder Durban unterstützt.
Die Gegensätze in Südafrika sind exrem. Wir wohnen in einer grossen Stadt mit allen Annehmlichkeiten und Angeboten, und hier, ein paar Stunden entfernt, haben die Leute so wenig Geld, dass sie mühsam jeden Tropfen Wasser in ihr Haus schleppen müssen.
Am nächsten Morgen führt uns George, ein Kollege von Rob, durch die Schlacht um Rorke’s Drift. Dieses Gefecht fand statt, weil die Reserveeinheit der Zulus bei der Schlacht bei Isandlwana nicht zum Einsatz gekommen war. Die jungen Krieger hatten keine Gelegenheit erhalten, ihre „Speere zu waschen“ im Blut der Gegner. Bei der Rückkehr nach Hause hätten sie deshalb nicht heiraten dürfen. Gegen den ausdrücklichen Befehl ihres Königs Cethswayo, der den Krieg mit den Engländern vermeiden wollte, setzten die rund 4'000 jungen Zulu-Krieger am Tag nach der Schlacht bei Isandlwana über den Buffalo River und griffen die zwei Gebäude von Rorke’s Drift an. Die dort einquartierten 139 englischen Soldaten, zum grösseren Teil verwundet oder krank, hatten jedoch Gelegenheit gehabt, sich mittels grossen Mais-Säcken und Holzkisten voller Biscuits eine Verteidigungsmauer aufzubauen. Sie hielten dem Angriff stand, und nach stundenlangen Kämpfen mussten die Zulu-Krieger abziehen.
11 der Verteidiger von Rorke’s Drift erhielten ein Victoria Cross , die höchste britische Auszeichnung für Verdienste im Angesicht des Feindes. Einer davon war ein Schweizer. Es gibt scheinbar gute Gründe, weshalb sich der Papst eine Schweizergarde hält.
Zurück in Johannesburg muss ich eines Morgens nach Sandton fahren, dem Banken- und Geschäftszentrum von Johannesburg, um im Swatch-Laden meine Uhr reparieren zu lassen. Im unvermeidlichen Stau habe ich genügend Zeit, um im Autoradio wieder einmal ausgiebig Radio Highveld zu hören. Die Morgensendung heisst The Rude Awakening , und der Name ist Programm: Jeremy Mansfield, Graeme „ Joffers my boy“ Joffe, Samantha Cowen, Darren „ Whackhead“ Simpson und Bongani Nxumalo hauen rhetorisch auf einander und alle anderen ein, was das Zeug hält. Kein Blatt wird vor den Mund genommen, keine Scheu vor Anzüglichkeiten, über alle Massen frech – das ist Highvelds Morgenprogramm. Wir alle lieben es.
Wenigstens bietet das Radioprogramm etwas zum Lachen, wenn der Strassenverkehr oft zum Weinen ist. In dieser Stadt muss sich ein Autofahrer mit einem grossen, starken Auto und viel Geduld wappnen. Das starke Auto braucht er, um sich gegen die Taxis zu behaupten, und die Geduld für den Stau, den es unweigerlich gibt. Johannesburg ist in den letzten Jahren in einem Tempo gewachsen, mit dem die Strasseninfrastruktur nicht mithalten konnte. Die Strassen und Autobahnen wurden mehr als grosszügig angelegt in Zeiten der Apartheid, als sich nur ein paar weisse Nasen die halbleeren Verkehrswege teilten, doch seither ist viel gelaufen. Zum Glück ist jetzt die ganze Regenbogennation auf der Strasse vertreten – das sagt mir zumindest mein politisch korrektes Gewissen. Leider gibt es da jedoch ein kleines rassistisches Teufelchen, das mich dazu zwingt, jedes Mal durch die Scheibe des Fahrzeugs zu gucken, das speziell schlecht, speziell langsam oder speziell kurvig unterwegs ist. Weil: Es sind immer schwarze Fahrer. Ich warte noch auf die Ausnahme.
Erstaunlich ist diese sozialwissenschaftliche Erkenntnis natürlich nicht, denn die schwarze Bevölkerungsmehrheit hat ja weder die Möglichkeit noch die Mittel, so wie wir Europäer gemütlich und ausgiebig Fahrstunden bei einem ausgebildeten Fahrlehrer zu nehmen. Also fährt man halt einfach so, wie’s geht.
Das, hingegen, gefällt mir wieder sehr. In meinem Heimatland ist man ja sehr gesetzestreu und organisiert, und das wird auch von den übrigen Verkehrsteilnehmern erwartet. Vor dem Lichtsignal 2 Sekunden warten, wenn die grüne Lampe leuchtet? Eine Strasse suchen und deshalb mit weniger als den erlaubten 50 Stundenkilometern rollen? Von einer Seitenstrasse auf die Hauptstrasse einfädeln wollen? Nach rechts abbiegen wollen und sich – Gott behüte! – auf der linken Spur befinden? In Zürich ist das ein Höllenkommando. Eine Mission Impossible . Eine Möglichkeit, ohne Schwert Harakiri zu begehen.
In Südafrika ist das alles kein
Weitere Kostenlose Bücher