Boerewors und Chardonnay: Ein Jahr in Südafrika
Problem. Es findet sich immer irgendwer, der einen einfädeln lässt, ohne deshalb gleich rot anzulaufen vor Ärger. Es findet sich immer irgendwer, der Verständnis hat. Es findet sich immer eine Lücke, um die Spur zu wechseln. Dann bedankt sich der Südafrikaner höflich mit dem hier geltenden Code: zweimal den Pannenblinker aufleuchten lassen.
Und, hey, die Südafrikaner beherrschen das Reissverschlusssystem astrein! Da muss nicht gezögert und gerätselt werden, wenn sich zwei Fahrspuren auf eine verengen, dann fädelt sich immer schön einer um den anderen ein. Ich bin immer wieder davon begeistert, weil ich das so nicht kannte. Wenn sich auch nur der Hauch einer Möglichkeit zeigt, dass eine von zwei Spuren einer Strasse in den nächsten 12 Kilometern aufgelöst werden könnte, dann wird in der Schweiz erwartet, dass sich die Fahrer auf der Überholspur aus Höflichkeit ohne Verzug in die Normalspur einfädeln. Das verursacht zwar schlimme Staus, sagen die Verkehrsexperten, aber die Schweizerseele ist glücklich, wenn sich nicht einer einen vermeintlichen Vorteil herausholen kann. Auch andere europäische Verkehrssitten sind hier unbekannt: Hupen? Das machen nur Taxis, die potentielle Klienten am Strassenrand auf sich aufmerksam machen. Den Vogel zeigen? Da wäre niemand beleidigt, das kennt man gar nicht.
Nun gut, das ist die positive Seite des südafrikanischen Verkehrs, diese Lässigkeit, die Toleranz, ein bisschen etwas Spielerisches. Auf der negativen Seite muss vermerkt werden, dass ich mich im hiesigen Verkehr viel mehr konzentrieren muss. Taxis und auch andere Verkehrsteilnehmer wechseln mit Lichtgeschwindigkeit die Fahrspur, ihr Blinken kann etwas bedeuten, oder auch nicht, und auf der Autobahn wurde ich schon mehrmals von Lastwagen gezwungen, von 120 auf 45 Stundenkilometer herabzubremsen. Und beim Bremsen lohnt es sich übrigens, mittels Spiegel auch seinen Hintermann im Auge zu behalten: Der könnte nämlich eine dieser uralten Schwarten fahren, deren Bremssystem als Antiquität ins Museum aufgenommen werden sollte. Und einem unversehens ins Hinterteil knallen.
Der öffentliche Verkehr, hingegen: Den gibt es eigentlich nicht. Bei Vollmond oder spezieller Wetterlage habe ich zwar schon einen Doppeldeckerbus herumgeistern gesehen, aber sonst... In Vorbereitung der Fussball-Weltmeisterschaft bemüht sich Johannesburg, ein Busnetz und sogar einen modernen Stadtzug aufzubauen. Der Gautrain ist im Bau, das kann man auch als Laie sehen, an den Brückenpfeilern über die Autobahn. Aber die Busse... Experten wie meine Maid Clara schütteln hier nur traurig den Kopf. Claras Schwester muss jeden Morgen zwischen 30 und 60 Minuten in einer Warteschlange vor der Taxihaltestelle stehen, bevor sie sich endlich auf den Arbeitsweg begeben kann. Die Besitzer der Minibus-Taxis haben sich mafia-ähnlich organisiert und den Markt unter sich aufgeteilt. Ihre Kunden haben sich einfach mit den Bedingungen abzufinden, die ihnen diktiert werden. Die Bedingungen? Wartezeiten und kriminelle Fahrweise, um die Kapazitäten der Minibusse möglichst auszunutzen. Billige Fahrer, die auf Provisions-Basis fahren und unter der Knute sind. Natürlich ist die Konkurrenz in Form von Bussen nicht willkommen, aber da haben die Taxi-Lords eine todsichere Abwehrmethode: Sie lassen einfach von Zeit zu Zeit wieder einen Bus-Chauffeur umbringen, damit wieder jeder weiss, wer Herr im Haus ist. Vendetta à la Südafrika.
Eine Woche später bin ich an einem wie immer sonnigen Montagmorgen gerade dabei, mir eine Schale Müesli mit Bananen zu machen, als mich Clara um Urlaub bittet. Ihre Mutter sei krank, erklärt sie, und Clara muss sofort zu ihr fahren, um ihren Haushalt mit den drei Kindern, Claras Sohn und zwei Vettern, organisieren. Was macht man als geneigte Arbeitgeberin in so einem Fall? Man beisst noch vor dem Frühstück in den sauren Apfel, sagt, das sei okay, und versucht, Mitgefühl statt dem wirklich gefühlten Unmut zu zeigen. Ein paar Stunden später sitzt Clara schon im Taxi auf dem Weg nach Kapstadt, und ich werde sie nie wieder sehen. Wie mir Claras Schwester nämlich am Sonntag am Telefon erklärt, hat der Familienrat, sprich die Brüder, entschieden, dass eine der Schwestern sich jetzt um die Mutter und die von ihr betreuten drei Kinder kümmern muss. Obwohl ich sie nicht kenne, höre ich aus der Stimme von Claras Schwester deutlich die Erleichterung, dass nicht sie vom Damoklesschwert getroffen wurde, sondern Clara. Die
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