Boerewors und Chardonnay: Ein Jahr in Südafrika
gross. Die Gesundheitsministerin liess es sich noch letztes Jahr nicht nehmen, Zitronen, Rote Bete und Knoblauch zur Kurierung von AIDS zu empfehlen. Der Präsident Südafrikas, Jacob Zuma, musste sich vor nicht allzu langer Zeit vor Gericht verteidigen, weil er angeblich eine HIV-positive Frau vergewaltigt hatte. Er zeigte sich unbekümmert darüber, dass er sich mit AIDS hätte anstecken können: Unmöglich, denn er habe danach ja gleich geduscht.
Im Gegensatz zu anderen afrikanischen Ländern wie zum Beispiel Botswana, die schon vor Jahren grosse Anstrengungen zur Aufklärung über AIDS und den Schutz dagegen machten, hat Südafrika diesen Zug versäumt. Mit schlimmen Folgen. HIV bzw. AIDS löscht ganze Familien aus oder hinterlässt Waisen, die bei greisen Grossmüttern ohne Pensionsansprüche oder im Waisenhaus aufwachsen müssen.
Natürlich kannte ich diese Problematik schon aus der Zeitungslektüre in Europa, doch welche Folgeprobleme sich ergeben und was dies auch wirtschaftlich für ein Land bedeutet, wurde mir erst hier klar. Letzthin hörte ich zum Beispiel folgendes am Radio: Nach einem schlimmen Unfall wurde der Präsident des Lastwagenverbandes gefragt, weshalb die Lastwagenfahrer so schlecht fahren. Der arme Mann antwortete sichtlich bedrückt: „Wir kommen einfach nicht nach mit der Ausbildung der Chauffeure. Kaum haben wir einen ausgebildet, stirbt er uns weg, und dann müssen wir wieder einen ohne Erfahrung einstellen.“
Auch für KehlTech ist AIDS bzw. HIV ein Problem, wie mir Lukas versichert. Nur wenige Wochen nach Lukas’ Arbeitsbeginn ist ein Mitarbeiter in der Werkstatt von KehlTech gestorben, was Lukas leicht aus der Fassung gebracht hat. Nicht aber seinen Schweizer Werkstattchef Andreas, der ihm die Statistik der Werkstatt gezeigt hat: Demgemäss starben allein im letzten Jahr mehr als 10% der Werkstatt-Mitarbeiter. Aber natürlich nicht an AIDS, daran stirbt man offiziell nicht in Südafrika, AIDS ist ja nur eine Erfindung. Zum Tod führen Infekte wie zum Beispiel eine Lungenentzüngung, mit denen ein intaktes Immunsystem fertig werden würde.
Der Tod des schwarzen Mitarbeiters brachte für Lukas noch eine neue Erfahrung mit sich. Schon am nächsten Tag fanden sich drei trauernde Witwen bei KehlTech ein, und jede wollte die Pension ihres angeblichen Mannes für sich beanspruchen. Lukas nahm mit Staunen zur Kenntnis, dass die Firma für diesen – in Südafrika normalen – Fall vorgesorgt hatte, indem der verstorbene Mitarbeiter, wie jeder andere auch, für den Fall seines Todes eine begünstigte Person angeben musste. Die siegreiche Witwe hatte damit jedoch noch nicht gewonnen. Die anderen angeblichen Witwen zogen zwar unter lautem Gezeter ab, doch unterdessen hatten sich die Eltern des Verstorbenen eingefunden. Sie machten darauf aufmerksam, dass ihr Sohn nicht offiziell verheiratet gewesen war und verlangten, dass ihnen der letzte Monatslohn ihres verstorbenen Sohnes sofort ausbezahlt würde. Für die Begräbniskosten.
Petra ruft an: „Ist Dein Tiefkühlfach voll?“
„Machst Du gerade einen Psychotest? Gebe ich mit der Antwort mein persönliches Allerinnerstes preis?“
„Quatsch, ich brauche nur Platz in einem Tiefkühlfach.“
Ich bin verwirrt. Muss sie ein paar Leichenteile entsorgen? Oder ist das der neuste Anti-Aging-Trend? Müssen die grauen Zellen gekühlt werden? Nachdem ich einige Sekunden geschwiegen habe, kommt die Erklärung: „Wir haben seit gestern morgen keinen Strom, und langsam wird es in unserem Kühlschrank warm. Darf ich was zu Dir bringen?“
Eine Stunde später sitzt sie bei mir in der Küche und geniesst sichtlich ihren Kaffee, die gefrorenen Lebensmittel sind sicher versorgt.
„Weisst Du, der Kühlschrank ist auch das einzige, was warm ist bei uns! Seit mehr als 24 Stunden gibt es bei uns keine warme Dusche, kein warmes Essen... Nicht mal eine Pizza bestellen können wir, die Restaurants haben auch keinen Strom! Ich wollte im Fitnesscenter duschen, aber die haben seit gestern geschlossen, ohne Licht trainiert doch keiner, und wir haben momentan auch andere Probleme.“
Während sie (lange!) unter unserer Dusche steht, sinniere ich darüber nach, was sie mir eben erzählt hat: Vor fünf Monaten ist eine Hauptleitung der Stromversorgung in ihrem Stadtteil ausgestiegen. Das war allgemein bekannt, doch brauchte man sich mit der Reparatur nicht zu beeilen, es gab ja noch das Ersatzkabel, das ausgezeichnete Dienste leistete. Bis es gestern von
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