Böse Dinge geschehen
»Außerdem Wasser und Sandwiches. Und etwas Blumenerde und eine Flasche Unkrautvernichter.«
»Wofür das denn?«
»Tarnung. Die Kassiererin wollte wissen, ob ich Gärtner bin.« Kristoll lachte einmal leise auf. »Es war richtig, Sie anzurufen.«
»Wir werden sehen«, sagte Loogan. »Wir müssen jetzt erst mal einen Plan machen. Sie haben von einem Feld gesprochen, |33| aber in meinen Ohren klingt das nicht so gut. Zu exponiert. Ein Waldgebiet wäre besser.«
»Gibt’s hier in der Gegend nicht.«
»Nein. Irgendwo auf der anderen Seite der Stadt. Lassen Sie uns einen Moment überlegen. In der Zwischenzeit müssen Sie eins für mich tun.«
Kristoll sah ihn verdutzt an, und Loogan berührte den Ärmel seines Anzughemdes.
»Sie müssen sich etwas anderes anziehen.«
Die Vorhänge des Arbeitszimmers waren zugezogen, aber als Kristoll weg war, knipste Loogan die Leselampe neben einem der Sessel an und schaltete das Deckenlicht aus. Er schob die Lampe näher an die Leiche heran und ließ sich auf ein Knie sinken. Er befühlte die Taschen des Mannes, ertastete Münzen, aber keine Schlüssel – Kristoll musste sie an sich genommen haben, um den Wagen wegzufahren. Er verschob die Leiche ein wenig, sodass er die Gesäßtaschen erreichen konnte. Fand ein Taschentuch, kein Portemonnaie.
Spontan hielt er den Handrücken dicht vor Nase und Mund des Mannes. Kein Atemhauch traf seine Haut. Er legte zwei Finger an die Innenseite des Handgelenks des Mannes. Das Fleisch war weder warm noch kalt. Natürlich war da kein Puls. Behutsam hob er die rechte Hand des Mannes und musterte die Fingerspitzen. Unter den Fingernägeln entdeckte er etwas Rotes. Er ließ die Hand wieder zu Boden sinken und stand auf, merkte, dass er zitterte und sein Herz raste.
Wieder ließ er den Blick über die Leiche wandern, weil er dachte, dass es noch mehr zu beachten gäbe. An seinem rechten Knöchel war die Socke heruntergerutscht. Unter dem Hosensaum sah man einen Fleck blasser Haut. Loogan kniete nieder und hob den Saum an. In der Haut war eine Einbuchtung, eine Linie, die sich um die Wade des Mannes zog, zu tief und zu scharf, als dass sie von einer Socke hätte stammen können.
|34| Loogan erhob sich. Er hörte Schritte auf der Treppe – Kristoll hatte sich schwere Wanderstiefel angezogen. Er erschien jetzt im Eingang zum Arbeitszimmer, trug Jeans und ein Flanellhemd, das nicht zugeknöpft war, darunter ein weißes T-Shirt , darüber eine Jeansjacke.
»Mir ist eine Stelle eingefallen«, sagte er.
|35| 4
Der Wagen des Diebes war ein himmelblauer Honda Civic mit Heckklappe. Er hatte Rost auf den Kotflügeln und einen Riss in der Windschutzscheibe, aber er war gut gefedert, und der Motor lief geschmeidig. Loogan fuhr in südöstlicher Richtung auf die Stadt zu, die sich am Fluss entlangzog. Der Regen hatte aufgehört.
Er erreichte den Stadtrand, überquerte den Fluss und steuerte nun Richtung Nordosten. Bald waren Lichter um ihn herum, Einkaufszentren, Tankstellen. Er könnte es sich immer noch anders überlegen, dachte er. Er schuldete Tom Kristoll gar nichts. Er könnte jederzeit auf einen dieser Parkplätze fahren, den Wagen einfach stehen lassen, eine Telefonzelle suchen, ein Taxi bestellen und sich zum Hause des Geschichtsprofessors fahren lassen. Alles, was er brauchte, würde in einen Koffer passen. Mit einem weiteren Taxi würde er zum Flughafen fahren und sich mit dem ersten Flieger absetzen. Am Morgen würde er schon in einer anderen Stadt sein.
Er fuhr weiter, ließ die Lichter hinter sich. Schließlich drosselte er die Geschwindigkeit, suchte nach einer Schneise zwischen den Bäumen. Dann tauchten zwei Holzpfähle auf und dazwischen eine Schotterstraße. Nach einem kurzen Stück weitete sie sich zu einem Parkplatz, der zu allen Seiten von Bahnschwellen begrenzt wurden.
Er stellte den Motor ab und machte die Scheinwerfer aus. Die Einkäufe lagen neben ihm auf dem Beifahrersitz, und im Fonds lagen die Schaufel und eine Harke, die er aus Kristolls Garage geholt hatte. Er öffnete eine Wasserflasche und trank die Hälfte |36| davon aus, während er noch im Wagen saß. Er merkte, dass die Beifahrertür nicht verriegelt war. Er streckte geistesabwesend die Hand aus, um sie zu verriegeln, kam sich dabei aber etwas tölpelhaft vor.
Er stieg aus und wartete im Dunkeln, trank Wasser, gewöhnte sich an den Gedanken, dass er allein war und dass auch kein Angreifer zwischen den Bäumen am Rande des Parkplatzes auf ihn losgehen
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