Böse Dinge geschehen
spähte. Von innen kam keine Reaktion, kein Laut war zu hören.
Sie klopften noch einmal. Nach einer Weile hörten sie Tullys Stimme, die klang, als käme sie von weit her. »Wer ist da?«
»Detective Waishkey und Detective Shan«, sagte Elizabeth. »Wir müssen mit Ihnen sprechen.«
Tully ließ sich einen Tick zu lange Zeit, um zu antworten. »Einen Moment, bitte«, sagte er schließlich.
Shan runzelte die Stirn. Er öffnete das Halfter an seinem Gürtel und legte die Hand auf den Knauf seiner Pistole.
|108| »Machen Sie schon, Adrian«, sagte Elizabeth. »Öffnen Sie die Tür.«
Shan machte einen Schritt nach links und zog seine Waffe.
»Ist das der dritte Weg, Lizzie?«, sagte er leise.
»Schön ruhig, Carter«, sagte sie, griff aber selbst nach ihrer Pistole an der Hüfte. »Öffnen Sie die Tür, Adrian.«
Drinnen wurde das Schweigen immer länger, und dann war das Geräusch eines Riegels zu hören, der zur Seite geschoben wurde. Elizabeth hielt die Pistole an ihrer Seite gesenkt.
Die Tür öffnete sich ein paar Zentimeter und schwang dann auf. Adrian Tully zeigte ihnen grinsend die leere rechte Hand. Mit der linken hielt er den Hörer eines schnurlosen Telefons. Shan murmelte etwas vor sich hin. »Idiot«, glaubte Elizabeth zu verstehen.
»Entschuldigung«, sagte Tully. »Am Telefon ist mein Anwalt. Er rät mir, nicht mit Ihnen zu sprechen. Er sagt, wenn Sie irgendwelche Fragen haben, können Sie sich gern an ihn wenden. Und falls Sie vorhaben, mich zu erschießen«, sagte er und blickte Shan an, »sollten Sie vielleicht damit warten.« Er hielt das Telefon hoch und wackelte damit. »Zeuge.«
Shan sah ihn mürrisch an und steckte seine Pistole zurück in den Halfter. Tully hielt sich das Telefon wieder ans Ohr, lauschte und sagte dann: »Mein Anwalt möchte wissen, ob er hierherkommen soll oder ob wir uns auf der Wache treffen.«
»Das Beste, auf das wir hoffen können«, sagte Carter Shan, »ist der dritte Weg.«
Elizabeth saß an ihrem Schreibtisch im Dezernatszimmer und ging ihre Post durch. Shan, der ihr gegenüber auf seinem Stuhl saß, starrte auf die verschlossene Tür vom Büro des Chefs.
»Der erste Weg wäre«, sagte Shan, »dass Tully das Zimmer in Handschellen verlässt.«
Sie hatten Adrian Tully von seiner Wohnung zur City Hall gefahren. |109| Während der Fahrt hatte er geschwiegen. Tullys Anwalt, Rex Chatterjee, hatte schon gewartet, als sie ankamen.
»Der zweite Weg wäre«, sagte Shan, »dass er ungeschoren davonkommt.«
Ruhig und höflich hatte Chatterjee verlangt, mit dem Chef zu sprechen. Jetzt waren Anwalt und Klient in McCalebs Büro.
»Der dritte Weg wäre«, sagte Shan, »dass ich ihm, sobald er mir gegenübersteht, in seine grinsende, ziegenbärtige Fresse haue. Ich glaube, ich bin für den dritten Weg.«
Elizabeth stieß auf eine Nachricht von Alice Marrowicz auf einem rosa Formular.
Leiche von Kristoll freigegeben
, stand da.
Beerdigung ist für Freitag angesetzt
.
»Du sagst gar nichts, Lizzie«, sagte Shan. »Woran denkst du?«
»Halten wir Tully für besonders schlau?«
»Nicht unbedingt.«
»Dennoch wusste er offensichtlich, dass wir ihn im Visier haben.«
»Wahrscheinlich hat ihm jemand einen Tipp gegeben. Meine Vermutung ist Valerie Calnero. Sie hatte sowieso schon ein schlechtes Gewissen, weil sie uns seinen Namen genannt hat.«
»Es könnte auch Sandy Vogel gewesen sein«, sagte Elizabeth. »Sie hat mir die Akte mit den Praktikantenfotos gezeigt. Ich habe dafür gesorgt, dass sie nicht sehen konnte, dass ich das Foto von Tully genommen habe, aber sie musste ja nur hinterher in die Akte schauen und feststellen, welches Foto nicht mehr da ist.«
»So oder so«, sagte Shan, »es ist jemand von
Gray Streets
. Die Leute bei
Gray Streets
scheinen sich wirklich umeinander zu kümmern.«
»Tullys Anwalt ist Rex Chatterjee. Laura Kristolls Anwalt ist Rex Chatterjee. Was sagt dir das?«
»Laura Kristoll möchte nicht, dass wir Adrian Tully befragen. Vielleicht haben wir uns in ihm geirrt. Wir haben gedacht, er |110| steht auf sie, aber vielleicht beruht das ja auf Gegenseitigkeit. Vielleicht haben sie etwas miteinander gehabt und beschlossen, ihren Mann loszuwerden.«
»Das ist eine Möglichkeit«, sagte Elizabeth.
»Oder sie hatte nichts mit Tully, ist sich aber nicht sicher, ob er ihren Mann getötet hat. Aber vielleicht hat sie auch einen Verdacht und hat nichts dagegen.«
»Du bist ein Zyniker, Carter.«
»Oder sie hält ihn für unschuldig.«
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