Böse Dinge geschehen
Shan nahm einen Kuli vom Schreibtisch und trommelte damit auf seinem Knie herum. »Vielleicht ist er ja wirklich unschuldig, und wir sind auf dem falschen Dampfer.«
»Das sind zu viele Möglichkeiten«, sagte Elizabeth düster. »Wir wissen noch nicht genug. Wir haben einfach noch nicht mit ausreichend vielen Leuten geredet.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Büro des Polizeichefs. Rex Chatterjee trat heraus und strich sich mit pummeligen Fingern über sein dickes graues Haar. Als Nächstes kam Tully und warf einen arroganten Blick durch das Dezernatszimmer, bevor er Chatterjee nach draußen folgte.
Owen McCaleb sah ihnen nach, als sie gingen, und trat dann an Elizabeths Schreibtisch. »Fazit ist«, sagte er, »dass Adrian Tully von einem Anwalt vertreten wird und alle Aussagen gemacht hat. Mehr wird es nicht geben. Wenn wir glauben, dass er ein Verbrechen begangen hat, dann müssen wir ihn anklagen und sehen, wie die Sache vor Gericht ausgeht.« McCaleb verdrehte die Augen. »Im Übrigen war das Ganze eine große Show. Chatterjee gab sich schockiert und verstört darüber, dass die Polizei von Ann Arbor mit gezogener Waffe an die Tür eines Bürgers kommt. Über diesen Punkt hat er sich ausführlich ausgelassen. Ihr hättet gleich mit euren Waffen vor dem Gesicht seines Klienten herumgewedelt.«
»Niemand hat mit irgendetwas herumgewedelt«, sagte Shan.
»Ich weiß«, sagte McCaleb. »Er hat nur herumgedröhnt. Wir |111| sollen nur im Hinterkopf haben, dass es auch eine Anklage geben könnte. Das soll uns abschrecken.«
»Werden wir uns abschrecken lassen?«
»Nein«, sagte McCaleb. »Wir werden gegen Adrian Tully noch mehr Beweise sammeln. Und wenn das misslingt, knöpfen wir uns jemand anderen vor. Aber es wäre schön, wenn wir einen Plan hätten.«
»Elizabeth war gerade dabei, einen zu skizzieren«, sagte Shan. »Er sieht vor, mit Leuten zu reden und Beweise zu finden.«
McCaleb ging in sein Büro zurück. »Informieren Sie mich über Ihre Fortschritte«, sagte er.
Elizabeth hatte sich inzwischen weiter vorgearbeitet und war auf eine grüne Akte und eine getippte Notiz von Alice Marrowicz gestoßen. Unter dem Ordner lag, mit einer Klammer zusammengeheftet, die Liste von Autoren und Mitarbeitern von
Gray Streets
.
»Und die Leute, mit denen wir reden werden?«, sagte Shan. »Irgendeine Vorstellung, mit wem wir anfangen wollen?«
Ohne ihren Blick von Alice’ Notiz abzuwenden, warf Elizabeth ihm die
Gray Streets -Liste
hin.
»Ich habe auch ein Exemplar davon«, sagte Shan. »Das sind bestimmt zweihundert Namen.«
»Wir müssen sie unbedingt einschränken«, sagte Elizabeth. »Nicht alle sind Einheimische. Und morgen ist Tom Kristolls Beerdigung. Es dürfte interessant sein, zu sehen, wer dort auftaucht. Du wirst sicher einen guten Anzug tragen wollen, und versuche bitte, nicht mit deiner Waffe herumzuwedeln.«
»Und bis dahin?«
»Na ja, Alice Marrowicz hat inzwischen ein bisschen Arbeit für uns erledigt. Tom Kristoll hat Geschichten von Strafgefangenen veröffentlicht. Ich habe Alice gebeten, ihre Namen auf der großen Liste herauszusuchen. Sie hat neun gefunden. Sieben sitzen noch immer. Von den beiden, die entlassen worden sind, |112| ist einer in Kalifornien und der andere wohnt in einer Wohnwagensiedlung drüben in Saline.«
»Jemand von hier?«, fragte Shan. »Wie heißt er denn?«
»Zorro.«
»Trägt schwarz und kann mit einem Degen umgehen.«
»Michael Beccanti«, sagte Elizabeth und schlug den grünen Aktenordner auf. »Es war nicht mein Fall, aber ich erinnere mich an ihn. Im Sommer ist er in Wohnhäuser eingebrochen. Er hat jedes Mal die Fliegengitter aufgeschlitzt, immer auf die gleiche Weise, in der Form eines Z. Vor einem Jahr ist er aus dem Gefängnis in Jackson entlassen worden.«
»Dann sollten wir mal mit Zorro reden.«
»Ich glaube nicht, dass wir das zu zweit machen müssen.« Sie gab ihm Alice’ Notiz. »Nimm du dir doch unseren Freund in Kalifornien vor. Danach kannst du dir die anschauen, die noch einsitzen. Schauen, ob es Kontakt zu Kristoll und den Leuten von
Gray Streets
gab.«
Sie sah, wie er die Stirn runzelte, und fügte hinzu: »Keine Sorge, Carter. Ich sag dir Bescheid, wenn ich dich brauche.«
Die Fahrt nach Saline führte sie an Neubaugebieten vorbei, wo gut verdienende junge Familien wohnen sollten. Die Siedlung lag etwas abgelegen, außer Sichtweite, war aber sauber und gepflegt. Das Gras war gemäht, die Autos in einem guten
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