Böse Dinge geschehen
noch an die Zeit, als wir gerade losgelegt hatten, als die Zeitschrift anfing, bekannt zu werden. Ein Reporter kam, um uns zu interviewen. Ich glaube, er erwartete eine typische literarische Zeitschrift, aber wir haben Krimi- und Detektivgeschichten veröffentlicht. Was war das Thema?, wollte er wissen. Wenn wir eine Geschichte aus
Gray Streets
in einem Satz beschreiben sollten, wie würde er lauten? Fast, als hätte er die Frage schon erwartet, antwortete Tom wie aus der Pistole geschossen: ›Pläne gehen schief, böse Dinge geschehen, Leute sterben.‹«
Ein Wagen fuhr vorbei, und die Reifen zischten auf dem Pflaster wie statisches Rauschen im Radio. Laura hatte innegehalten, |202| und Loogan beobachtete sie im Profil. Ihre Lippen waren fest zusammengepresst, ihr Kinn schob sich nach vorne. Sie versuchte, nicht zu weinen.
»Tom hatte einen Plan für Seans Manuskript«, sagte sie leise. »Er hatte lange daran gearbeitet, und er wollte, dass es veröffentlicht wird. Der Plan hat sich nicht wie erwartet erfüllt, aber das war nicht sein Fehler. Sean Wrentmore ist etwas Böses zugestoßen, aber als es passiert war, war es passiert. Es ließ sich nicht mehr ungeschehen machen. Ob Tom der Polizei nun davon erzählte oder nicht, für Sean machte es keinen Unterschied. Aber hätte Tom der Polizei davon erzählt, hätte er ihnen alles erzählen müssen.«
Sie hielt ihren Kopf gesenkt, und ihr Haar verdeckte ihr Gesicht. »Ich weiß nicht, was die rechtlichen Folgen gewesen wären oder was die Zeitungen daraus gemacht hätten«, sagte sie. »Aber ich weiß, dass Tom wollte, dass das Manuskript veröffentlicht wird – seine Version des Manuskripts. Wenn er zur Polizei gegangen wäre, wäre das nie geschehen. Sean hielt keinen engen Kontakt zu seiner Familie. Ich glaube nicht, dass er mit seinen Leuten über seine Schriftstellerei sprach. Aber hätte das Buch nach seinem Tod veröffentlicht werden sollen, hätten sie zustimmen müssen. Und warum hätten sie zustimmen sollen, wenn sie erst einmal herausgefunden hätten, wie sehr Sean es hasste, was mit seinem Manuskript geschehen war?
Also ist Tom nicht zur Polizei gegangen. Ich weiß nicht, ob er darüber nachgedacht hat, was das für Seans Familie bedeutete. Sie würde nie erfahren, was mit Sean passiert war. Was das Manuskript anbelangt, so hatten vielleicht eine Handvoll Leute Seans Version gelesen, aber die Erinnerung verblasst. Und die redigierte Fassung war wirklich anders. Ich glaube, Tom hätte ein paar Jahre gewartet und es dann unter seinem Namen oder einem Pseudonym veröffentlicht.«
Sie hob die Hände, um sich die Müdigkeit aus den Augen zu reiben. Loogan konzentrierte sich auf die feinen Umrisse ihrer |203| Finger, während sie über ihre Wangen strichen. »Aber Pläne gehen schief«, sagte sie. »Böse Dinge geschehen. Tom ist gestorben, und dann war es an mir zu entscheiden, was zu tun wäre. Vielleicht hätte ich der Polizei von Sean berichten sollen, vielleicht sollte ich das jetzt noch tun. Aber für Tom macht es nicht mehr den geringsten Unterschied.
Tom wollte Schriftsteller werden«, sagte sie. »Er ist dem, was er sein wollte, am Nächsten gekommen, als er Sean Wrentmores Roman lektoriert hat. Ich habe das Manuskript. Ich werde es in einer Truhe auf dem Dachboden aufbewahren, und in ein paar Jahren werde ich es dann entdecken – ein vergessenes Werk von Tom Kristoll. Und auf die eine oder andere Art werde ich erreichen, dass es veröffentlicht wird, denn das ist, was er wollte.«
|204| 22
Es war beinahe halb zwölf, als Loogan Laura Kristoll nach Hause fuhr. Er hielt auf dem Weg an, um zu tanken, und rief Michael Beccanti an. Mantel und Degen.
Als sie das Haus erreichten, lud Laura ihn noch auf einen Drink ein. Später, als er ging, umarmte sie ihn und hielt ihn lange fest. Aber sie bat ihn nicht, zu bleiben.
Um viertel vor eins war er wieder in seiner Straße, vor seinem gemieteten Haus. Er stieg aus und schloss den Wagen ab. Die Fahrertür leuchtete im Licht der Straßenlampe. Die Kratzer, die Adrian Tully hinterlassen hatte, waren wegpoliert und überlackiert worden.
Er sah zur Veranda. Da war das X, das Beccanti in das Fliegengitter geschnitten hatte. Darum müsste er sich auch noch kümmern.
Drinnen legte er seinen Mantel über den Küchenstuhl. Er ließ Wasser aus dem Hahn laufen, bis es kalt war, und trank zwei Gläser davon. Am Fuß der Treppe schüttelte er seine Schuhe ab. Dann holte er das Handy aus der Tasche: keine
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