Böse Freundin (German Edition)
albern, sich einzubilden, dass die Farben noch erhalten sein könnten. Der Kitzel, den sie nach einundzwanzig Jahren beim Umrunden einer gewissen Ecke empfunden hatte, wurde vom Anblick einer weißen Fassade mit braunen Zierleisten zunichtegemacht.
Der immer noch nicht umgestellten Zeitanzeige auf ihrem Handy zufolge hatte Huck jetzt seine Vorbereitungsstunde.
«Endlich», sagte er.
«Passt es bei dir gerade?», fragte sie und starrte das unscheinbare Haus an, als stünde es in Flammen.
«Ich sitze hier zwischen meinem Zensurenbuch und den Aufsätzen für die dritte Stunde», sagte er. «Wie ist es mit deiner Mom gelaufen?»
Celia konnte den Blick nicht von dem Haus abwenden. Sie versuchte, die Farben ihrer Erinnerung darauf zu projizieren, aber sie wollten nicht bleiben.
«Liebling», sagte Huck. «Du weinst ja.»
«Ich hab auf dem Rückweg einen Abstecher gemacht», sagte sie. «Keine Ahnung, warum, ich dachte, es wäre eine gute Idee.»
«Ceel, wo bist du?»
«Bei Djunas Haus.»
«Du klingst so traurig.»
Sie sah sich um. Da – auf dem schmalen Grünstreifen zwischen den Häusern, neben einem grauen Stromkasten, der aussah wie ein Tiefkühlschrank für die Großgastronomie – glaubte sie fast, die Mädchen zu sehen, die sie einst gewesen waren. Dort hatte sie mit Djuna gehockt, außer Atem vom Rennen, zwischen sich eine Tragetasche von der Bücherei voll mit allem Essbaren, was sie auf dem Weg nach draußen aus der Küche hatten mitgehen lassen. Der gleichmäßige Summton des Stromkastens war nur zu hören, wenn man direkt danebenstand, und wenn man das Ohr an die Metallwand hielt, klang er eindeutig bedrohlich. Weil sie dort sonst nie eine Menschenseele gesehen hatten, weil sie ganz allein auf den Ton gestoßen waren und ihre Freundschaft von Dingen lebte, die nur ihnen beiden gehörten, hatten sie beschlossen, dass sie als Einzige auf der Welt das Geheimnis des Kastens kannten. Ihnen allein war es gelungen, sich dem Netz unhörbarer Klangwellen zu entziehen, das jeden im Viertel von dem Wunsch fortzugehen abbrachte. Mit elf waren Celia und Djuna alt genug, um selbständig überallhin zu radeln und ihren eigenen Haustürschlüssel in der Tasche zu haben. Sie hatten die ersten Schritte hinaus in die große weite Welt getan und einander gefunden. Der Rasen um den Stromkasten war eine längliche, ungepflegte Fläche, die niemand sonst beanspruchte. Es war, als würden sie unsichtbar. Am meisten liebte Celia den Moment, wenn sie dort ankamen, jede einen Henkel der Tragetasche in der Hand, ein Lebewesen mit vier flinken Beinen und zwei Herzen im Gleichtakt. Immer war es dieser Moment der Einigkeit, für den sie sich auf das Spiel einließ: das stärkste Bündnis, das sie abgesehen von den ererbten Familienbanden kannte, so mächtig und verwundbar wie nichts sonst. Für Celia lag der Spaß darin, vor imaginären Verfolgern davonzulaufen, hinter Büschen Zuflucht zu suchen und sich dann mit erbeuteten Cornflakes und Schokorosinen den Bauch vollzuschlagen, doch Djuna redete von Greyhound-Bussen nach New York und von dem Bargeld, das ihre Mutter in einer Schreibtischschublade verwahrte. Wenn ihnen, versteckt hinter Bäumen und geparkten Autos, beim Diskutieren über das beste Reiseziel der Proviant ausgegangen war, kehrten sie stets wieder zu Djuna nach Hause zurück – ein Finale, das Celia jedes Mal als persönlichen Sieg verbuchte.
Auf der Rückfahrt kam Celia in der Schubert Street an zwei Joggerinnen mit wippenden Pferdeschwänzen und T-Shirts von derselben Studentinnenverbindung vorbei. Auf der anderen Straßenseite thronte ein studentischer Mieter in seinem Vorgarten auf einem Liegestuhl. Er hatte ein aufgeschlagenes Lehrbuch im Schoß und hörte mit seinem iPod Musik. Sein Kopf wippte in sehr viel rascherem Stakkato als die dahintrabenden Verbindungsschwestern. Als Celia ausstieg und automatisch ein gutnachbarliches Lächeln aufsetzte, sah er kurz auf, vertiefte sich aber gleich wieder in sein Buch und ließ sie mit erhobener Hand dastehen. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie langsam in die Jahre kam; die jüngere Generation hatte mit guten Umgangsformen nichts mehr am Hut. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatten ihre Eltern Celia noch zurechtgewiesen, wenn sie nicht grüßte. Bald würde auch noch der Blickkontakt aus der Mode kommen und damit jeder Anschein von menschlicher Gemeinschaft erloschen sein.
Sie öffnete die Haustür mit dem Schlüssel, den sie seit jeher benutzte und verlässlich
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