Böse Freundin (German Edition)
bei jedem Besuch mit nach Hause brachte. Dank des Pseudosteins und der Extraschlüssel ihrer Eltern lief sie zwar keine Gefahr, sich je auszusperren, aber diesen Schlüssel besaß sie nun schon zwei Drittel ihres Lebens. Er hatte die Ära der verlorenen Schirme, Mützen und Zahnspangen überlebt und trug immer noch gut sichtbar die Prägung des Eisenwarengeschäfts, das um die Zeit, als Celia Autofahren lernte, unter verdächtigen Umständen abgebrannt war. Celia mochte es sich nicht vorstellen, aber irgendwann würden ihre Eltern wohl doch umziehen, was hieß, dass der Schlüssel in den Müll oder in ein Glasgefäß mit anderen verwaisten Gegenständen wanderte; doch vorerst ließ er sich ohne Probleme ins Schloss stecken und drehen. Das galt nicht für alle Exemplare: Dieses hier war besonders ordentlich gefertigt. Es war nicht mehr Celias Haus, aber jedes Mal, wenn sie den Schlüssel im Schloss drehte, wurde es wieder zu ihrem.
Erst im Fernsehzimmer fiel ihr ein, dass der Computer jetzt oben im alten Zimmer ihres Bruders stand, gegenüber von ihrem am Ende des Flurs. Celia ging langsam die Treppe hinauf und bemerkte dabei zum ersten Mal, wie blass der einst kieferngrüne Teppichboden durch die jahrelange direkte Sonneneinstrahlung geworden war. In Jeremys Zimmer hatte sie sich eigentlich nur aufgehalten, wenn sie ihn, als Babysitterin zwangsverpflichtet, zu Bett bringen musste. Bis zu ihrem Auszug war ihr Bruder ein unkompliziertes Wesen mit marineblauen Chucks und Cargohosen gewesen, ein Junge, der nach Erdnussbutter roch. Was sein reizloses Zimmer an Geheimnissen bergen mochte, war entweder überholt oder belanglos. Warren hatte überlegt, sich hier ein Arbeitszimmer einzurichten, doch Celia hegte den Verdacht, dass die Verlagerung des Computers eher dazu dienen sollte, die Geister des Ortes zu verscheuchen. Laut Noreen war es Warren gewesen, der ihn gefunden hatte. Er hatte die Tür aufdrücken müssen. Mehr Details wusste Celia nicht, doch dieses eine genügte bereits. Das Haus stammte aus einer Zeit, in der es noch keine Türknäufe mit Verriegelungsmechanismen gab. Die Schlüssel zu sämtlichen Zimmertüren waren schon vor Urzeiten verlorengegangen. Es ließ sich nicht mehr feststellen, was zuerst da gewesen war – der fast schon krankhafte Respekt ihrer Eltern vor der Privatsphäre anderer oder ihr Einzug in ein Haus mit unverschließbaren Türen –, doch selbst als Jeremy im Grundschulalter nachts schreiend aus Albträumen hochgeschreckt war, hatte Warren nach dem gestreckten Galopp zum Zimmer seines Sohnes stets vor der Tür innegehalten, angeklopft und gesagt: «Jem, ich bin’s, Dad. Darf ich reinkommen?»
Von der Schwelle aus waren nur der Computertisch und das Bücherregal schräg gegenüber der Tür zu sehen. Celia ging hinein und fragte sich, ob sie sich wohl gerade dort befand, wo ihr Bruder zusammengebrochen war. Der neue Teppichboden wollte nicht recht zu dem restlichen Zimmer passen, das einer ausgeweideten Zeitkapsel glich. Nur die am wenigsten begehrten Gegenstände aus der Kindheit waren noch da – ungelesene Bücher und ungeliebtes Spielzeug, ungewürdigte Preise und Andenken an wenig denkwürdige Ferien. Neben der eingestaubten Medaille von einem Sportfest fand sich der abgestreifte Panzer eines Gipsarms mit verblichenen Unterschriften. Daneben die Jahrbücher der Jensenville High, die Noreen während der Schulzeit ihrer Kinder reflexartig zu ihren eigenen dazu erstanden hatte. Die von Jeremy waren mit Staubflusen bedeckt, ihre Rücken hatten keine Knickspuren. Zwischen den Reißzwecken, die Länge und Breite abgehängter Poster markierten, waren immer wieder Stellen verspachtelt, jede einzelne mindestens faustgroß. Die Decke zierten ein paar Sterne, die weiterhin hartnäckig im Dunkeln leuchteten und ihre Konstellationen nun schon seit Ewigkeiten überdauerten.
Der Bildschirmhintergrund von Warrens Computer zeigte ein aktuelleres Foto von Daniel als das, was unten auf dem Couchtisch stand – einen Schnappschuss, den Jeremy oder Pam nach dem letzten Weihnachtsfest aufgenommen haben musste. Ihr Neffe lag schlummernd auf der Couch und sah seinem Vater ähnlicher denn je. Den Pullover, den er auf dem Bild trug, hatte er gerade geschenkt bekommen. Im Schlaf nuckelte er am Daumen, genau wie Jeremy früher; er hatte die gleichen dichten Augenbrauen und – warum war Celia das bisher nie aufgefallen? – auch das gleiche längliche Muttermal auf der linken Wange. Im Juni wurde Daniel
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