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Böse Freundin (German Edition)

Böse Freundin (German Edition)

Titel: Böse Freundin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myla Goldberg
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gewohnt, sich dem Haus der Pearsons aus dieser Richtung zu nähern. Vielleicht fielen ihr deshalb die Bäume auf. Bei ihren Besuchen im Winter täuschten die kahlen Zweige darüber hinweg, wie sehr die Bäume seit Celias Kinderzeit gewachsen waren. Nun überspannte das Laub, das sich einst auf die Gärten beschränkt hatte, die Straße in einem durchgehenden Baldachin; die weißen Blütenblätter wirbelten wie Frühlingsschnee zu Boden. Ein eindrucksvoller Anblick, wie sie sich eingestand: Bäume wie diese mussten mindestens hundert Jahre alt sein, vermutete sie. Tatsächlich waren die von Mr. Jensen bei der Stadtgründung gepflanzten Kastanien in den 1930er Jahren einer Pilzkrankheit zum Opfer gefallen. Erst gute zwanzig Jahre später hatte die Anwohnergemeinschaft mit vereinten Kräften die Mittel aufgebracht, um anstelle der einstigen Kastanien Zierbirnensetzlinge zu pflanzen. Dies waren die Bäume, die Celia nun vor sich sah – Bäume, die in zehn bis fünfzehn Jahren das Ende ihrer natürlichen Lebensspanne erreicht haben würden. In den 1950er Jahren hatte der Vorstand nach etwas gesucht, das wenig kostete und schnell wuchs. Fünfundsiebzig Jahre erschienen damals wie eine halbe Ewigkeit. Noch war die Frage offen, wer länger durchhalten würde, Celias Eltern oder die Zierbirnen – aber sofern Warren gesund blieb, hatten Noreen und er gute Chancen, mit den Bäumen auch das letzte bisschen Würde aus ihrem Viertel dahinschwinden zu sehen.
    Ihre noch vorhandene Ortskenntnis, durch zweimaliges Abbiegen nachgebessert, führte Celia von der Schiller zur Handel Street am Fuß des steilen Hügels, der auf der Fahrradstrecke zu Djunas Haus immer ihr Lieblingsabschnitt gewesen war. Auch nach einundzwanzig Jahren waren die markanten Punkte aus ihrer Kindheit alle noch da. Hier, an der Kreuzung von Handel Street und Mendelssohn Street, wo die Straße allmählich anstieg, stand der blaue Briefkasten, den sie mit Umschlägen gefüttert hatte, damit er sich nicht überflüssig vorkam. Hier, auf halbem Weg, das Schild VORSICHT KINDER, das sie immer empört als Warnung vor ihresgleichen gelesen hatte. Und da, ganz oben, wo die wunderbare Sausefahrt bergab begann, das Rasenstück, unfachmännisch durch Steinmulch ersetzt. Mit dem Auto war der hügelige Teil der Handel Street ein Klacks, doch auf einem Eingangfahrrad musste man die letzten Meter im Stehen treten. Wenn der scheußlichste Garten der Welt auf der Kuppe erreicht war, konnte Celia das Rad einfach die Handel Street hinunterrollen lassen, wobei sie weiter auf den Pedalen stand und sang: «High energy, your love is lifting me … lifting me hiiiiiigher.» Dabei hielt sie die vorletzte Silbe so lange aus, wie ihre Lunge es erlaubte. Das irre Gefühl, sich so in die Tiefe zu stürzen – die Haare im Nacken ein dunkler, flatternder Wimpel, die Augen von der vorbeizischenden Luft zu Schlitzen verengt –, hatte den gesunden Menschenverstand außer Kraft gesetzt und sogar die Sterblichkeit in Frage gestellt. Mit dem Auto gestattete Celia sich nicht, das Stoppschild am Fuß des Hügels zu ignorieren, an dem sie als Elfjährige mit dem Rad vorbeigerast war, um die Kurve in die Wagner Street und in die Zufahrt zu Djunas Haus.
    Die ungezügelte Geschwindigkeit verstärkte das Gefühl, das Celia jedes Mal überkam, wenn sie das Haus sah: Mit seiner senfgelben Fassade und den Einfassungen in Rot und Orange wirkte es damals wie aus dem Zauberland Oz, das auf magische Weise durch einen verkehrt herum wehenden Zyklon in die reale Welt versetzt worden war. Laut Mrs. Pearson entsprachen mehrfarbige Außenanstriche dem Erscheinungsbild des Ortes in seiner Gründerzeit; zum Beweis legte sie ihnen einen Fotoband mit ähnlichen Häusern vor. Djuna fand das Buch langweilig, Celia hingegen nahm im Geist von jedem Haus Besitz. Jahre später, während sie am College war, brach unter den Aktivisten im Viertel ein Farbwahn aus. Die besonders Ambitionierten ergatterten von der Gemeinde Zuschüsse zur Renovierung und träumten davon, alles nach dem Vorbild der berühmten knallbunten Häuser im ehemaligen Rotlichtbezirk San Franciscos zu gestalten. Der Enthusiasmus verblasste ähnlich schnell wie die ersten Anstriche, die den Wintern an der Ostküste nicht gewachsen waren. Zwar belebten nach wie vor ein paar unerschütterliche Exemplare das Viertel wie Bäume im Dauerherbst, doch Djunas Haus in der Wagner Street gehörte nicht dazu. Celia hielt an; es schnürte ihr die Brust zu. Wie

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