Böse Freundin (German Edition)
darum ging, einen Fensterplatz zu ergattern. Celia erinnerte sich, dass sie am Tag nach der Feuersbrunst die Augen abgeschirmt und das Gesicht an das scheppernde Fensterglas gepresst hatte, in der Erwartung, anstelle von Bäumen verkohlte Gerippe zu sehen. Doch der Blick von der Straße aus war der gleiche wie immer, die Geheimnisse des Waldes blieben ungelüftet. Der Brand wurde zu einer weiteren Geschichte – noch ein Geheimnis, das der Wald für sich behielt.
Celias Gedächtnis erwies sich als hervorragender Navigator, bis zu der entscheidenden Abzweigung. Die letzte Straße vor der Ripley Road hatte sie kürzer in Erinnerung. Auf der Hügelkuppe, wo sie hätte einmünden sollen, führte sie um eine Kurve zu einer Ampel. Celia verfolgte ihren Weg zurück, aber bis zu dieser letzten Kreuzung stimmte alles. Sie drehte erneut um, fuhr ein weiteres Mal auf die unbekannte Ampel zu.
Als sie die neue Abzweigung nahm, bemerkte sie das Schild. Die schmale, kurvenreiche Straße war nun ein vierspuriger Schnellweg. Er führte schnurgerade nach Norden und Süden, so weit das Auge reichte, ein Musterbeispiel der Eindimensionalität, mit einem Riesenlineal gezogene Asphaltlinien. Celia sah durchs Fenster und starrte mit offenem Mund das Bürozentrum an, das jetzt dort stand, wo sie Djunas Weg durch den Wald hatte verfolgen wollen.
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13. Kapitel
Das Wohnhaus des verstorbenen Stadtgründers, in dem mittlerweile die Bücherei von Jensenville untergebracht war, lag im ehemals vornehmen Teil des Ortes an einer Straße mit dreistöckigen Backsteinvillen, die sich in unterschiedlichen Stadien der Unterteilung und des Verfalls ins einundzwanzigste Jahrhundert schleppten. Veranden und eine Vielzahl von Schornsteinen, Kuppeln und Rundbogenfenstern zierten bröckelnde Fassaden wie Familienschmuck die faltige Haut ehrwürdiger Großtanten. Einst prächtige Ballsäle, Speiseräume und Wintergärten waren zu Arztpraxen, Friseurgeschäften, Immobilien- und Versicherungsbüros geworden. Hier hatte sich auch der Kieferorthopäde eingemietet, den Celia in der Mittelstufe regelmäßig aufsuchen musste, um ihre Zahnspange nachstellen zu lassen. Zweieinhalb Jahre lang war sie alle drei Wochen nach der Schule die zehn Querstraßen bis zu seiner Praxis und von dort weiter zur Bücherei gegangen, wo Noreen sie dann einsammelte. Blitzartig überfiel Celia die Erinnerung an den Würgereiz, den die weiche, dicke Wachsmasse für den Gebissabdruck bei ihr ausgelöst hatte. In Gedanken lag sie wieder auf dem Zahnarztstuhl, einen schlecht rasierten Adamsapfel im Blick, während sich der Kieferorthopäde an ihrem Backenzahn zu schaffen machte und die Geräusche, die er dabei verursachte, durch ihren Schädel hallten. Dr. Krantz. So hatte er geheißen. Ein Phantomschmerz zuckte durch Celias Oberkiefer, als sie nun die Bücherei betrat.
Über die honorigen Absichten des Stadtgründers gab die Tafel neben seiner lebensgroßen Statue in der Eingangshalle erschöpfend Auskunft: «Ich übereigne dieses mein Haus der Stadt Jensenville als Hort der Bildung, auf dass es den Wissbegierigen zur zweiten Heimat werde.» Tatsächlich glich es jedoch weniger einer zweiten Heimat als vielmehr einem bis zum Bersten vollgestopften Wandschrank. Abgesehen von den Sprossenfenstern waren sämtliche anderen Öffnungen mit zusätzlichen Bücherregalen verstellt. An den Stuckdecken summten längs und quer nachgründerzeitliche Neonröhren. Celia steuerte den Nebenraum an, in dem sich statt des Informationsschalters nun jedoch eine Reihe von Computerarbeitsplätzen befand.
Um diese Zeit, vormittags unter der Woche, war die Bücherei ein Refugium für Rentner, Arbeitslose und Arbeitsunfähige. An einem Tisch weiter hinten beäugte ein Mann mittleren Alters mit Polyester-Sakko und einer Krawatte von der Länge und Breite einer Kuhzunge argwöhnisch ein Buch; im angrenzenden Raum hielt eine Frau in der einen Hand eine Ausgabe von Us und in der anderen ein Fläschchen auf Mundhöhe eines in seinem Kinderwagen schlafenden Säuglings.
«Entschuldigung», hörte Celia eine Stimme hinter sich. «Möchten Sie sich für die Computerbenutzung eintragen?»
Sie drehte sich um. Die Bibliothekarin ihrer Kindertage war eine Wolljackenträgerin mit papierdünner Haut gewesen und hatte die Brille an einer Halskette vom gleichen Kaliber hängen gehabt, wie es zur Befestigung von Stiften an Bankschaltern verwendet wurde. Diese Dame hier trug kunstvolle Ohrringe aus
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