Böse Freundin (German Edition)
unberührt geblieben war, weil es dort nichts Sanierenswertes gab. Im Vorbeifahren sah Celia einen Waschsalon und ein Pfandleihhaus, die Filiale einer Hühnerbraterei und eine Kegelbahn. Die weiter nördlich gelegenen Bahngleise wurden nur noch von Güterzügen befahren. In regelmäßigen Abständen, meist wenn Kommunalwahlen oder eine Erhöhung der Grundsteuer anstanden, war die Rede davon, den Personenverkehr wieder aufzunehmen, doch die Befürworter ließen hartnäckig außer Acht, dass die Bevölkerungszahl von Jensenville in den dreißig Jahren seit der Einstellung der Bahnlinie stetig gesunken war.
Die Polizeistation, ein gedrungener, wie aus Legosteinen zusammengefügter Backsteinbunker, lag am einen Ende eines mit Schlaglöchern übersäten Parkplatzes. In den fünf Minuten, die Celia dasaß und durch die Windschutzscheibe starrte, ging niemand hinein und kam niemand heraus. Sie versuchte sich einzureden, dass vielleicht wegen Mittagspause geschlossen war, was ihr den Mut verlieh auszusteigen. Was in der Bücherei noch wie ein natürlicher nächster Schritt erschienen war, hatte auf der Fahrt an Fragwürdigkeit gewonnen. Sie und Huck hatten überlegt, dass sie erst einen Anwalt konsultieren und dann bei der Polizei vorsprechen sollte. Aber es ging ihr ja lediglich um Informationen. Sie würde nicht einmal ihren Namen nennen müssen.
Die Eingangstür öffnete sich mit solcher Leichtigkeit, dass die Vorstellung, eine Polizeistation könne jemals geschlossen sein, geradezu albern wirkte. Wie groß war wohl die statistische Wahrscheinlichkeit, dass in ebendiesem Moment jemand eine rote Ampel überfuhr oder in einer Drogerie einen Lippenstift in der Handtasche verschwinden ließ? Wie viele kleine und große Straftaten blieben in Jensenville unentdeckt, wie viele Menschen, die durch diese Tür traten, hatten etwas zu verbergen?
Drinnen ergriff Celia unerwartetes Heimweh. Die Dienststelle ähnelte den städtischen Behörden im Bilandic; hier wie dort war die Kundschaft garantiert, bestand keine Notwendigkeit, mit der Innenausstattung Eindruck zu schinden. Zum ersten Mal seit ihrem Flug nach Osten kam ihr wieder der leere Schreibtisch im Büro des Rechnungshofs in den Sinn, an den sie in wenigen Tagen zurückkehren würde.
Noch an diesem Abend würde zu Hucks Stimme wieder ein Körper gehören. Am Sonntagabend würden sie beide ins Flugzeug nach Chicago steigen und Jensenville hinter sich lassen. Celias Erleichterung angesichts dieser Erkenntnis blendete für den Moment die Tatsache aus, dass sie Djuna mit sich nehmen würde, dass der Prozess, auf den sie sich eingelassen hatte, ein unbestimmtes Ende hatte.
Der Polizeibeamte hinter dem Tresen sah auf und blickte sie überrascht an.
«Kann ich Ihnen helfen?», fragte er.
«Guten Morgen», sagte sie. Ihre gesamte Chicagoer Existenz schrumpfte zu einem winzigen, fernen Lichtpünktchen zusammen. «Ich hätte gern eine Auskunft über eine Straße hier im Ort.» Sie fühlte sich wacklig. Bestimmt machte sie ein komisches Gesicht und hörte sich seltsam an. Sie ließ sich auf einem Klappstuhl aus Metall nieder, der neben ihr an der Wand stand.
«Passen Sie auf mit dem Ding», sagte der Beamte. Bis auf seine marineblaue Uniform war alles in dem Büro entweder grau oder braun. «Sie sind ja sehr dünn, da wird es wohl gehen, aber bei anderen soll das Teil schon mal eingeknickt sein.» Er zeigte auf einen Stuhl vor dem Tresen. «Der hier ist besser. Möchten Sie einen Schluck Wasser?» Mit den kleinen Augen unter dem tiefen Haaransatz wirkte er wie ein verdächtig freundlicher Dachs.
«Danke, nein», sagte Celia und wechselte auf den angebotenen Stuhl, der sich in nichts vom ersten unterschied. «Ich möchte Ihnen keine Umstände machen, aber ich besuche hier gerade meine Eltern und bin die Ripley Road entlanggefahren –»
Der Beamte schüttelte den Kopf. «Wenn Sie Einspruch gegen einen Strafzettel einlegen wollen, müssen Sie bis zur Verhandlung abwarten. An Ihrer Stelle würde ich einfach zahlen. Ich kenne die Straße, da wimmelt es nur so von Geschwindigkeitsbegrenzungen.»
«Darum geht es nicht», sagte Celia. «Ich wüsste gern, wann die Straße verbreitert worden ist.»
Der Polizist runzelte die Stirn. «Ach Gott, Sie reden von damals, als CompuDisc sich da angesiedelt hat?» Er musterte Celia kritisch. «Das ist aber schon einige Jährchen her.»
«Waren Sie zu der Zeit hier?», fragte sie. «Als die ganzen Bäume gefällt wurden?»
Auf einem Poster an
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