Böse Freundin (German Edition)
Emaille, keine Brille und eine leicht aufgeknöpfte Seidenbluse.
«Ich suche die Information», sagte Celia.
Die Bibliothekarin lachte lauter, als es für eine Vertreterin ihrer Zunft passend schien. «Da sind Sie wohl schon eine Zeitlang nicht mehr hier gewesen», sagte sie. «Die ist jetzt dadrüben.» Wo Celia Zeitungsständer in Erinnerung hatte, stand nun der vertraute Unterbau aus solidem dunklem Holz – ein Monstrum von Schreibmöbel, vor dem selbst die wildesten Kinder verstummten.
«Wir haben zwei starke Männer und einen Schwertransportroller gebraucht, um ihn vom Fleck zu bewegen», erläuterte die Bibliothekarin. «Da, wo er gestanden hat, gehen die Abdrücke durch den Teppich bis in den Boden. Ich hätte einen neuen Schreibtisch haben können, aber der hier erschien mir immer ideal. Außerdem konnte ich damit mein Möbelbudget für einen richtig coolen Stuhl verbraten.» Sie ging um den Schreibtisch herum und nahm in etwas überaus Ergonomischem Platz. «So, womit kann ich Ihnen helfen?»
«Ich hätte gerne ein paar Informationen über eine Straße hier im Ort.»
«Wenn es um technische Fragen geht, müssten Sie vielleicht rüber ins Rathaus, in die Abteilung für Straßenbau», meinte die Bibliothekarin, «aber wir haben auch Karten und Pläne hier, und ich bin aus Jensenville gebürtig.»
Ihr Lächeln, beflissen und entschuldigend zugleich, konnte als Lokalpatriotismus durchgehen.
«Als Kind bin ich mit dem Schulbus immer eine kleine Straße entlanggefahren, die durch ein Waldgebiet führte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Ripley Road hieß.»
«Hab ich’s mir doch gedacht!» Die Bibliothekarin strahlte. «Die Heimkehrer erkenne ich immer an der Nasenspitze.»
Celia zuckte leicht zusammen.
«Sie sind sicher bloß auf Familienbesuch hier», mutmaßte die Frau. «Wo leben Sie sonst?»
«In Chicago.» Fast hätte Celia zum Beweis ihren Ausweis vorgelegt.
Die Bibliothekarin nickte. «Eine Schande, das mit der Straße.» Sie seufzte. «Kein Primärwald mehr. Als CompuDisc sich hier angesiedelt hat, wurde die Ripley Road ausgebaut, und nachdem die Internetblase geplatzt war, konnten sie nicht mehr alles rückgängig machen.» Sie betrachtete Celia aufmerksam. «Wann waren Sie hier an der Grundschule?»
«Bis 86.»
Ihr Gegenüber strahlte erneut. «Haben Sie da ein Mädchen namens Betsy Jorgenson gekannt? Sie müsste ein, zwei Klassen über Ihnen gewesen sein. Das ist meine kleine Schwester, mittlerweile heißt sie Betsy Harris. Sie hat es so gemacht wie Sie vermutlich auch und ist woanders aufs College gegangen. Das ist die einzig sichere Methode, von hier wegzukommen.»
«Ein Mädchen namens Betsy?», wiederholte Celia.
«Lange blonde Zöpfe? Unschlagbar beim Völkerball in der Pause?»
«Ich glaube nicht», sagte Celia.
«Na ja, es ist ja auch schon eine Weile her.»
Die Neonröhren summten leise über ihren Köpfen.
«Äh, wegen der Ripley Road», setzte Celia erneut an. «Wann wurden denn die ganzen Bäume gefällt?»
«Wäre doch toll gewesen, wenn sie das Haus von dem Zauberer gefunden hätten, nicht? Oder soll es eine Hexe gewesen sein?» Beim Sprechen schlugen die Ohrringe der Bibliothekarin an ihren Hals. «Man fragt sich doch, was kleinen Kindern heutzutage bleibt, wenn sie einander zu Tode erschrecken wollen. Ich schätze, das leerstehende Trinkerheim an der Route 17 gibt es noch, aber das entspricht ja nun nicht ganz ihrer Altersklasse, oder?»
Celia starrte sie an.
«Ich bin nicht immer so geschwätzig», sagte die Bibliothekarin. «Es ist nur so schön, mit jemandem zu sprechen, der sich keine Verschwörungstheorie zusammenspintisiert oder sich auf YouTube Videos mit Haushaltsunfällen anschaut. Gibt es denn etwas Bestimmtes, was Sie wissen wollen?»
«Ich bin bloß zufällig die Ripley Road entlanggefahren und musste an das Mädchen denken, das damals verschwunden ist, als wir noch klein waren –»
«Ach Gott!» Die Ohrringe der Bibliothekarin führten einen Veitstanz auf. «Das weiß ich noch ganz genau! Warten Sie einen Moment, gleich hab ich’s wieder … Sie hieß irgendwas mit J: Jessie, Julie, Jenna –»
«Djuna», sagte Celia.
«Stimmt! Djuna! Djuna P–» Die Bibliothekarin stockte und schnipste dann mit den Fingern. «Djuna Parson!»
«Pearson.»
«Sie ist da entführt worden, oder? Mein Gott, daran habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gedacht. Ich glaube, mein Vater war bei einer der Suchmannschaften dabei. Eine Zeitlang habe ich sogar eine
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