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Böse Freundin (German Edition)

Böse Freundin (German Edition)

Titel: Böse Freundin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myla Goldberg
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Milchpackung aufgehoben, auf der ihr Gesicht abgebildet war, aber irgendwann hat meine Mutter sie gefunden und weggeworfen.» Sie hielt kurz inne. «Ich wette, wir beide kannten uns damals. Wenn wir Fotos aus der Zeit hätten, würden wir uns bestimmt wiedererkennen.»
    Auf einem kleinen Bücherbord neben dem Schreibtisch standen ein Wörterbuch, ein Synonymwörterbuch, ein Weltatlas, das örtliche Telefonbuch und die dazugehörigen Gelben Seiten. «Entschuldigen Sie mich», sagte Celia und steuerte auf die Tür zu, die ins Untergeschoss führte.
    «Wenn Sie die Toilette benutzen wollen, brauchen Sie den Schlüssel», rief die Bibliothekarin ihr nach.
    Der Anblick der Telefonbücher hatte in Celia eine Erinnerung geweckt, die der Nachhall der hinter ihr ins Schloss fallenden Tür bestätigte. Sie und Djuna hatten darum gewetteifert, wer im Treppenhaus von der höheren Stufe bis zum Absatz hinunterspringen konnte. Neben dem Donnerknall, den ihre Schuhsohlen beim Aufprall verursachten, wirkte das dumpfe Plopp der Tür geradezu lächerlich. Die damalige Bibliothekarin war der Ursache des Lärms nie nachgegangen, sei es, weil sie ihn nicht hörte oder weil sie sich für das bücherfreie Territorium des Treppenhauses nicht zuständig fühlte. So oder so hatte ihre Nachlässigkeit Djuna und Celia quasi eine überdachte Version des ungepflegten Rasenstücks neben dem Stromkasten in der Nähe von Djunas Haus beschert. Das Geländer kam Celia jetzt niedrig vor, und die Stufen waren ausgetretener, doch das Geräusch, mit dem sie auf dem Treppenabsatz landete, war das gleiche. Auf das vergessene Vergnügen, an einem stillen Ort Radau zu machen, folgte wie damals der pure, innere Triumph, als sich keine Bibliothekarin blickenließ.
    Die Stufen waren das Vorspiel zu ihrem Sturm auf das Münztelefon gewesen. Das nötige Kleingeld stammte aus einem Zinnkrug, den Mr. Pearson auf seinem Schreibtisch stehen hatte. Aus der Bücherei verirrte sich nur selten jemand zu den Toiletten, und falls doch, waren sie dank der zuschlagenden Treppenhaustür ausreichend vorgewarnt. Da Celia sich weigerte, selbst zu sprechen, musste sie die Nummern auswählen und ließ auf der Suche nach vielversprechenden Nachnamen die Finger über die welligen Seiten des Telefonbuchs wandern.
    «Hallo?», meldete Djuna sich dann. «Ich heiße Nadine» oder Scarlet oder Francesca, «und ich gehe in die neunte Klasse.» Sich noch älter zu machen, traute Djuna sich nicht. Sie sprach möglichst tief und übertrieben artikuliert. «Ich arbeite gerade an einem Referat über das aktuelle Bild unserer Gemeinde. Dürfte ich Ihnen dazu wohl ein paar Fragen stellen?»
    Die Angerufenen schienen gerne bereit, einem wildfremden Mädchen bei den Hausaufgaben behilflich zu sein. Djuna hielt den Hörer vom Ohr weg, damit Celia mithören konnte. Manchmal hatten sie ein Kind am Apparat. Manchmal erkannten sie an der Stimme, dass ihr Gesprächspartner schon sehr alt sein musste. Meist stellte Djuna ein paar Fragen – «Wie viele Kinder haben Sie? Und wie viele Haustiere? Wie viele Fernseher? Welche Sorte Cornflakes essen Sie zum Frühstück?»  – und legte dann auf, manchmal aber drückte sie Celias Arm, grub ihr die Nägel ins Fleisch und fragte: «Welche Farbe hat Ihre Unterwäsche?» Wenn daraufhin das Freizeichen ertönte, brach sie in Gelächter aus, doch einmal hatte eine Stimme geantwortet.
    «Blau», hatte der Mann gesagt. «Ich habe blaue Boxershorts an, und du hast ein oberscharfes, geiles Stimmchen.» Djuna hatte grinsend aufgelegt und von Celia zu hören bekommen, dass sie das nie wieder tun solle. Statt einer Antwort hatte Djuna ihren Haustürschlüssel aus der Bluse geangelt und ihren Anfangsbuchstaben in die Seitenwand des Münzapparats geritzt; danach waren Celia und Djuna nie wieder zusammen in der Bücherei gewesen.
    Celia konnte nicht sagen, wann sie zuletzt ein Münztelefon gesehen hatte; diese Ära war von ihr unbemerkt zu Ende gegangen. Obwohl sie nur aus dem einen Grund die Treppe hinuntergegangen war, überraschte es sie, dass das Büchereiexemplar immer noch an derselben Wand zwischen Herren- und Damentoilette hing, ebenfalls weiter unten, als sie es in Erinnerung hatte. Sie musste sich zur Seite drehen, um es zu sehen, doch das «D» war noch da.

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    14. Kapitel
    Die Polizeidienststelle lag zwischen dem Zentrum und dem östlichen Teil des Ortes – ein Gebiet, das von Jensenvilles gelegentlichen flüchtigen Sanierungsversuchen

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