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Böse Freundin (German Edition)

Böse Freundin (German Edition)

Titel: Böse Freundin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myla Goldberg
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am anderen Ende der Leitung hätte sein können.
    Er wollte nicht so weit gehen zu behaupten, dass Celias überraschendes Erscheinen am Flughafen etwas gerettet hatte, aber er wusste auch nicht, wie er sonst zu einer solch glasklaren Erkenntnis hätte gelangen sollen. Als er sie unten an der Rolltreppe entdeckte, fuhr es ihm bis ins Mark, ein Stromschlag, der jeder Zelle, jeder Faser seines Körpers sagte, dass er ihr allein gehörte. Sie hatte ihn die ganze Zeit beobachtet und gewartet, bis er sah, wie ihr Mund seinen Namen formte.
    «Ich wette, sie haben im Wohnzimmer auf der Lauer gelegen», sagte sie und brachte den Wagen auf der Zufahrt zum Stehen. «Mach dich auf was gefasst. Mommy hat gestern ungefähr sechs Tüten Lebensmittel aus dem Supermarkt angeschleppt.»
    Warren und Noreen standen am Ende des Gartenwegs. Wenn Huck sie sah, addierte er im Geist immer auf: Noreens Haar + Noreens Lippen + Warrens Statur + Warrens Kinn = Celia. Es gefiel ihm, dieses Durchscheinen der Gene, das ihn in seine Zukunft sehen ließ. Noreens Haar lichtete sich allmählich, die Haut an Warrens Kinn war erschlafft, und beide hatten um die Leibesmitte etwas zugelegt: Details, die es Huck leichter machten, sich das Leben an Celias Seite in den kommenden Jahrzehnten vorzustellen.
    «Huck, wie schön, dich zu sehen», sagte Noreen. Sie umarmte ihn steif, küsste ihn auf die Wange und tätschelte seinen Rücken.
    «Hallo, Huck.» Warren gab ihm die Hand und fasste ihn um die Schulter. «Ich hab schon zu Celia gesagt, ihr zwei solltet öfter zu Besuch kommen, wenn es hier warm und grün ist.»
    Huck nickte. «War eine sehr schöne Fahrt vom Flughafen hierher.»
    Huck neigte von Natur aus zu herzlichen Begrüßungen und konnte Luftküsse und halbe Umarmungen auf den Tod nicht ausstehen. In Schwarzweiß auf Zelluloid gebannt und mit Klaviermusik unterlegt, wären seine ersten Besuche in Jensenville als Stummfilmkomödie durchgegangen, in der sein Überschwang die Zurückhaltung der Dursts auf eine schwere Probe stellte. Bis auf sittsame Küsse unter dem Weihnachtsbaum hatte er Celias Eltern einander nie berühren sehen. Celia hatte ihm einmal erzählt, die Schlafzimmertür ihrer Eltern hätte immer offen gestanden; und in dem kurzen, unbehaglichen Moment, bevor Huck das Liebesleben von Noreen und Warren wieder aus seinen Gedanken verbannte, hatte er heimlich gebetet, dass ihm und Celia dieses Schicksal erspart bleiben würde.
    Sie gingen hinein. Huck, der in beengten Verhältnissen aufgewachsen war, kam das Haus immer noch wie ein Palast vor. Bei einer Party hatte er Celia einmal im Scherz sagen hören, in ihrer jetzigen Wohnung wäre nicht genug Platz für Kinder. Wie wollte eine Frau, in deren Elternhaus ein halbes Zimmer von einer unbenutzbaren Couch eingenommen wurde, das beurteilen?, hatte er gedacht. Er verstand auch nicht, warum bei so viel überschüssigem Platz die Familienfotos ausgerechnet in dem engen, schlecht beleuchteten Flur hingen, wo es keine Sitzmöglichkeit gab und jeder, der sich die Bilder anschauen wollte, unweigerlich den Türknauf des Garderobenschranks im Kreuz hatte.
    Als er jetzt dort stand, musste Huck allerdings zugeben, dass er es genoss, im Flur ungestört die Bilder von Celia zu betrachten. Auf den ersten Porträts vom Fotografen, mit Schaukelpferd und neutralem Hintergrund, war ihr Gesicht noch ein unbeschriebenes Blatt, doch auf denen, wo sie vor gemalten Wasserfällen, Herbstbäumen und Landschaften zu sehen war, ließen manche ihrer Posen schon die Frau erahnen, die aus ihr werden sollte. Auf einem Foto neigte sie den Kopf in einem Winkel, der zu ihrem Gestenrepertoire als Erwachsene gehörte; auf einem anderen hatte sie zu der Haltung gefunden, die sie nach ihrem Wachstumsschub aus der Menge heraushob. Huck wusste nicht, wie der Fotograf es zustande gebracht hatte, aber auf dem fünften Porträt zeigte die bestenfalls zehnjährige Celia ihr ureigenes Lächeln, das oft zu sehen und unmöglich einzufangen war und das sie niemals auf Kommando produzieren konnte. Auf diesem Bild war sie so sehr schon sie selbst, nur kleiner, dass Huck Gefühle beschlichen, die man durchaus kriminell nennen konnte.
    «Wirst du es denn nie leid, dir die anzugucken?», murmelte Celia im Vorübergehen.
    «Nein», gab er zurück.
    Am wohlsten fühlte er sich im Fernsehzimmer, das links hinter dem offizielleren Wohn- und Essbereich lag, wie ein Herzstück. Noreen hatte den Couchtisch bereits mit Schüsseln voll Trauben und

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