Böse Freundin (German Edition)
der Nähe ist», sagte Celia. «Wenn ich nicht versuche, sie zu treffen, wird mich das in Chicago ewig verfolgen. Vielleicht zieht sie weg, oder wir hören nichts mehr voneinander, und dann würde ich mich den Rest meines Lebens dafür verfluchen, dass ich die Gelegenheit nicht genutzt habe.»
Sie spürte erneut Hucks Blick auf sich und tat, als sei sie ganz vom Fahren in Anspruch genommen, bis er wegsah.
«Und was machen wir in der Zwischenzeit?», fragte er. «Heute Abend mit deinen Eltern beispielsweise?»
«Das Gleiche wie immer. Essen und dann fernsehen, bis Mommy und Daddy schlafen gehen.»
«Aber wird das nicht eine Tortur? Zusammen herumzusitzen und nichts zu sagen?»
Sie zuckte mit den Achseln. «So läuft es doch immer bei uns.»
Die Namen der Orte, an denen sie vorbeifuhren – Onondaga, Skaneateles, Assembly Park, Slab City –, verwiesen auf die Vergangenheit und das, was aus ihr geworden war. Celia registrierte, dass Syracuse von ihrem Heimatort aus gesehen etwa so weit nördlich an der Interstate 81 lag wie Scranton Richtung Süden. Die Strecke, die sie in den vergangenen Tagen zurückgelegt hatte, entspräche sechs Uhr auf einem Zifferblatt mit Jensenville als Mittelpunkt.
«Da kommt Killawog», sagte Huck. Die Namen reihten sich zu einer vertrauten Litanei, einer Abfolge von Orten, die immer nur auf ein Ziel hinführte.
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16. Kapitel
Für Huck hatte es etwas Anheimelndes, als durch das Beifahrerfenster Jensenvilles Steinbogen ins Blickfeld kam; es war, als sähe er den Vorspann eines Films, der ihm von vielen Wiederholungen im Fernsehen wohlbekannt war. Wie genau es mit der Main Street wirtschaftlich bergab gegangen war, wusste er nicht, aber die seit Ewigkeiten unveränderte Skyline kannte er in- und auswendig, und eigentlich fand er es schön, wie Jensenville gealtert war. Der Ort glich einer Zeitkapsel: Wie ein Blitz aus heiterem Himmel war der Wohlstand über ihn gekommen und hatte sich dann ebenso rasch wieder verflüchtigt. Übrig blieben Backsteinvillen mit Mansardendächern, die Kuppel auf dem Rathaus, die breiten Rundbogenfenster der Läden im Zentrum und die Oper mit ihrem steinernen Turm. Jensenville war ein amerikanisches Fossil, ein Triumph der Industrialisierung im frühen zwanzigsten Jahrhundert, der im einundzwanzigsten nur noch auf tönernen Füßen stand: das Sinnbild einer vergangenen Ära, in der Fabriken Städte zeugten.
Seit der Abfahrt von der Interstate 81 herrschte Schweigen im Wagen; Huck betrachtete die vorbeiziehende Landschaft, Celia trommelte aufs Lenkrad. «Woran denkst du?», fragte er.
«Meine Eltern müssten jetzt schon zu Hause sein», sagte sie. «Es war komisch hier ohne dich. Das sind sie nicht gewohnt.»
«Es fehlt ihnen etwas.» Huck seufzte.
«Allerdings. Außerdem brennen sie vermutlich darauf, dich auszuquetschen.»
«Was soll ich ihnen sagen?»
Sie hob die Schultern. «Was du willst.»
Sie kamen an der Kreuzung Brahms und Hofmann Street vorbei; den exakten Weg von dort zur Schubert Street hatte Huck nicht im Kopf, nur die ungefähre Richtung. Nach vielen Spaziergängen über die Jahre hinweg kannte er die wichtigsten Orientierungspunkte: das frühere Haus von Celias bulimisch veranlagter Babysitterin und die Ecke, an der das Kind mit dem Downsyndrom oft stundenlang gestanden und vorbeifahrenden Autos zugewinkt hatte. Auf einer Bank im Jensen Park hatte Celia zum ersten und einzigen Mal in aller Öffentlichkeit mit Huck geknutscht und ihm danach erklärt, nun sei ihr die Erinnerung an Harlan Posner ausgetrieben, der sie in der achten Klasse mit seiner Schlabberzunge an ebendiesem Fleck fast erstickt hätte. Damit glaubte Huck alles erfahren zu haben, was es zu wissen gab.
Am Abend zuvor war ihm klar geworden, dass er die Zeit, in der er allein war, als Probelauf betrachtete. Morgens hatte er es wie immer eilig, dann folgte der Unterricht, und selbst das Heimkommen zu Bella und Sylvie war nicht anders gewesen als sonst. Nur in der Stunde, nachdem er mit den Hunden draußen gewesen war, nahm die Einsamkeit Celias Namen an; aber Huck hatte schon immer und nicht nur in Bezug auf Menschen Schwierigkeiten gehabt, zwischen Gewohnheit und echtem Bedürfnis zu unterscheiden. Was er Celia niemals eingestanden hätte – er konnte es sich kaum selbst eingestehen: Zum Teil war ihr spätabendliches Telefonat für ihn deshalb so aufregend gewesen, weil – nachdem sie einmal damit angefangen hatten – jede x-beliebige Person
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