Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
müßiges, wankelmütiges Herrensöhnchen, empfanden Sie keine Wollust?«
»Sie sind ein Psychologe«, Stawrogin wurde zusehends blasser, »obwohl Sie sich über die Gründe meiner Ehe zum Teil täuschen … Wer war es übrigens, der Ihnen alle diese Auskünfte zukommen ließ?« Er lächelte mit Überwindung. »Kirillow etwa? Aber der war ja gar nicht dabei …«
»Sie werden blaß?«
»Was wollen Sie eigentlich von mir?« Nikolaj Wsewolodowitsch hob endlich die Stimme. »Ich habe eine halbe Stunde lang unter Ihrer Peitsche gesessen, und Sie könnten mich wenigstens höflich verabschieden, falls Sie nicht wirklich etwas Vernünftiges damit bezwecken, daß Sie mich auf diese Weise behandeln.«
»Etwas Vernünftiges bezwecken?«
»Zweifellos. Es wäre Ihre Pflicht gewesen, mir wenigstens zu erklären, was Sie bezwecken. Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, daß Sie es tun, aber nur wütende Bosheit gefunden. Ich bitte Sie, mir das Tor aufzuschließen.«
Er erhob sich von seinem Stuhl, Schatow stürzte wie von Sinnen auf ihn zu.
»Küssen Sie die Erde, bis sie naß ist von Ihren Tränen, bitten Sie um Verzeihung!« rief er und packte Stawrogin bei der Schulter.
»Ich habe Sie immerhin nicht getötet … an jenem Vormittag … sondern beide Arme zurückgezogen«, sagte Stawrogin mühsam, beinahe schmerzlich und schlug die Augen nieder.
»Reden Sie, reden Sie zu Ende! Sie sind gekommen, um mich vor einer Gefahr zu warnen, Sie haben mich reden lassen, Sie wollen morgen Ihre Ehe öffentlich bekanntmachen! …
Lese ich denn nicht in Ihrem Gesicht, daß Sie einem grauenvollen neuen Gedanken erliegen? … Stawrogin, warum bin ich dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit an Sie zu glauben? Hätte ich je mit einem anderen so reden können? Ich weiß, was Keuschheit ist, aber ich habe mich nicht gescheut, mich zu entblößen, weil ich mit Stawrogin sprach. Ich habe mich nicht gescheut, durch meine Berührung einen großen Gedanken zu karikieren, weil Stawrogin mir zuhörte … Werde ich nicht die Spuren Ihrer Füße küssen, wenn Sie fortgegangen sind? Ich kann Sie nicht aus meinem Herzen reißen, Nikolaj Stawrogin!«
»Ich bedaure, daß ich Sie nicht lieben kann, Schatow«, sagte Nikolaj Wsewolodowitsch kühl.
»Ich weiß, daß sie es nicht können, und ich weiß, daß Sie nicht lügen. Hören Sie, ich mache alles wieder gut: Ich werde Ihnen den Hasen fangen!«
Stawrogin schwieg.
»Sie sind Atheist, weil Sie ein Herrensohn sind, der letzte Herrensohn. Sie sind nicht mehr imstande, Böse und Gut zu unterscheiden, weil Sie das Verständnis für Ihr eigenes Volk verloren haben. Es kommt eine neue Generation, unmittelbar aus dem Herzen des Volkes, und Sie werden sie nicht verstehen, weder Sie noch die beiden Werchowenskijs, Vater und Sohn, noch ich, weil ich ebenfalls ein Herrensohn bin, ich, der Sohn Ihres leibeigenen Lakaien Paschka … Hören Sie, erlangen Sie Gott durch Ihrer Hände Arbeit; das ist das Wesentliche, oder Sie werden vergehen wie ein gemeiner Schimmelpilz; erlangen Sie ihn durch Ihrer Hände Arbeit.«
»Durch Arbeit? Was für Arbeit?«
»Durch Bauernarbeit! machen Sie sich auf den Weg, lassen Sie Ihre Reichtümer hinter sich! Oh, Sie lachen! Sie fürchten, es bleibt bei einer Finte?«
Aber Stawrogin lachte nicht.
»Sie nehmen an, daß man Gott durch Arbeit erlangen kann? Und zwar gerade durch Bauernarbeit?« wiederholte er nach einigem Überlegen, als wäre ihm wirklich etwas Neues und Ernstzunehmendes begegnet, worüber es sich lohnte nachzudenken. »Übrigens«, plötzlich nahm er einen anderen Gedanken auf, »Sie haben mich soeben an etwas erinnert; wissen Sie, daß ich keineswegs so reich bin, daß ich etwas hätte, was ich hinter mir lassen könnte? Ich bin sogar kaum in der Lage, für die Zukunft Marja Timofejewnas zu sorgen … Und noch etwas anderes: Ich bin eigentlich gekommen, um Sie zu bitten, auch künftig, wenn es Ihnen möglich ist, Marja Timofejewna nicht zu verlassen, da Sie allein imstande sind, einen gewissen Einfluß auf ihren armen Kopf auszuüben … Ich sage das für alle Fälle.«
»Schon gut, schon gut, das mit Marja Timofejewna«, Schatow winkte mit der einen Hand ab, in der anderen hielt er die Kerze, »schon gut, das kommt später von selbst … Hören Sie, gehen Sie doch mal zu Tichon.«
»Zu wem?«
»Zu Tichon. Tichon, ehemaliger Bischof, lebt hier krankheitshalber im Ruhestand, hier in der Stadt, am Stadtrand, in unserem
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