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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Tatsache, daß Sie Gott auf ein schlichtes Attribut des Lebens eines Volkes reduzieren …«
    Er hatte plötzlich begonnen, Schatow mit verstärkter und ganz besonderer Aufmerksamkeit zu beobachten, wobei er weniger auf dessen Worte als auf seine ganze Erscheinung achtete.
    »Ich soll Gott auf ein Attribut des Volkslebens reduzieren?« rief Schatow aus. »Ganz im Gegenteil! Ich hebe das Volk zu Gott empor. Und ist es je anders gewesen? Das Volk ist der Körper Gottes. Jedes Volk bleibt so lange ein Volk, wie es seinen besonderen Gott besitzt und alle anderen Götter auf der ganzen Welt gnadenlos ausschließt; solange es glaubt, mit seinem Gott zu siegen und alle anderen Götter aus der Welt zu vertreiben. So haben alle geglaubt, seit Anfang aller Zeiten, alle großen Völker, jedenfalls alle, die sich irgendwie ausgezeichnet, die an der Spitze der Menschheit gestanden haben. Diese Tatsache ist unbestreitbar. Die Juden haben nur dafür gelebt, um auf den wahren Gott zu warten, und haben der Welt den wahren Gott hinterlassen. Die Griechen haben die Natur vergöttert und der Welt ihre Religion vererbt, das heißt Philosophie und Kunst. Rom vergötterte das Volk und den Staat und vererbte den Völkern den Staat. Frankreich war im Laufe seiner langen Geschichte nichts anderes als die Verkörperung und Fortentwicklung der römischen Gottesidee, und als es endlich seinen römischen Gott in den Abgrund stürzte und sich dem Atheismus hingab, der bei ihnen vorläufig Sozialismus heißt, geschah es aus dem einzigen Grund, daß der Atheismus immer noch gesünder ist als der römische Katholizismus. Wenn ein großes Volk nicht mehr glaubt, daß es allein die Wahrheit in sich trägt (ganz allein und ganz ausschließlich), wenn es nicht mehr glaubt, daß es allein berufen und fähig ist, alle anderen mit seiner Wahrheit zu erwecken und zu erlösen, dann verwandelt es sich augenblicklich in ethnographisches Material und ist nicht länger ein großes Volk. Ein wahrhaft großes Volk wird sich niemals mit einer zweitrangigen Rolle innerhalb der Menschheit begnügen, sogar nicht einmal mit einer erstrangigen, sondern unbedingt und ausschließlich mit der Hauptrolle. Wer diesen Glauben verliert, ist kein Volk mehr. Aber die Wahrheit ist einzig, folglich kann auch nur ein einziges Volk den wahren Gott haben, auch wenn die übrigen Völker ihre eigenen großen Götter besitzen. Das einzige ›Gottesträgervolk‹ ist das russische Volk und … und … ist es möglich, ist es möglich, daß Sie mich für einen Idioten halten, Stawrogin«, brüllte er plötzlich wie außer sich, »der nicht unterscheiden kann, ob seine Worte in diesem Augenblick alter, überlebter Schwachsinn sind, der durch sämtliche Moskauer Slawophilenmühlen gelaufen ist, oder ein völlig neues Wort, das letzte Wort, das einzige Wort der Erneuerung und Auferstehung, und … und was kümmert mich in diesem Augenblick Ihr Lachen! Was kümmert es mich, daß Sie mich überhaupt nicht verstehen, überhaupt nicht, nicht ein einziges Wort, nicht einen einzigen Laut! … O wie ich jetzt Ihr überhebliches Lachen und Ihren stolzen Blick verachte!«
    Er sprang von seinem Platz auf; auf seinen Lippen zeigte sich sogar Schaum.
    »Im Gegenteil, Schatow, im Gegenteil«, sagte Stawrogin ungewöhnlich ernst und beherrscht, ohne sich zu erheben, »im Gegenteil. Sie haben mit Ihren begeisterten Worten manche außerordentlich starken Erinnerungen in mir wieder zum Leben erweckt. In Ihren Worten erkenne ich meine eigene Stimmung von vor zwei Jahren wieder, und jetzt werde ich Ihnen nicht, wie vorhin, sagen, daß Sie meine damaligen Gedanken übertreiben. Ich glaube, ich glaube sogar, daß sie noch ausschließlicher, noch autokratischer gewesen sind, und ich versichere Ihnen zum dritten Mal, daß ich es mir sehr wünschte, alles, was Sie gerade vorgebracht haben, bestätigen zu können, sogar bis auf die letzte Silbe, aber …«
    »Aber Sie brauchen einen Hasen?«
    »Wie?«
    »Ihr eigener gemeiner Ausdruck«, Schatow lachte boshaft und setzte sich wieder auf seinen Platz: »›Zum Hasenpfeffer braucht man einen Hasen, zum Gottesglauben einen Gott‹, das sollen Sie in Petersburg oft gesagt haben, wie weiland Nosdrjow, der einen Hasen bei den Hinterläufen packen wollte.«
    »Nein, der prahlte ja gerade, daß er bereits einen Hasen gefangen hätte. Ach, nebenbei, erlauben Sie mir doch, Sie meinerseits mit einer Frage zu behelligen, um so mehr, da ich, wie mir scheint, nun das volle

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