Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
bin für die Schigaljowerei!«
Stawrogin beschleunigte seine Schritte, um schneller nach Hause zu kommen. “Wenn dieser Mann betrunken ist, so muß er sich doch irgendwo betrunken haben”, ging es ihm durch den Sinn, “das war doch nicht der Cognac?”
»Passen Sie auf, Stawrogin: Berge platt machen – das ist ein guter Gedanke und kein lächerlicher. Ich bin für Schigaljow. Wir brauchen keine Bildung, wir haben genug von der Wissenschaft! Auch ohne die Wissenschaft wird das Material für tausend Jahre reichen, aber der Gehorsam muß eingeführt werden. Auf der Welt fehlt nur eines: der Gehorsam. Der Durst nach Bildung ist bereits ein aristokratischer Durst. Eine Spur Familie oder Liebe, und schon ist der Wunsch nach Besitz da. Wir werden diesen Wunsch abtöten: Wir legalisieren die Trunksucht, den Klatsch, die Denunziation; wir legalisieren die unerhörtesten Laster, wir werden jedes Genie in der Wiege auslöschen. Alles wird auf einen Nenner gebracht: totale Gleichheit. ›Wir haben unser Handwerk gelernt. Wir sind ehrliche Leute. Wir brauchen nichts anderes‹ – das war unlängst die Antwort englischer Arbeiter. Nötig ist nur das Nötige – das soll von da an auf dem ganzen Erdball der Wahlspruch sein. Aber auch der Paroxysmus muß sein; dafür werden wir, die Herrschenden, Sorge tragen. Sklaven brauchen Herrschende. Absoluter Gehorsam, absolute Unpersönlichkeit, aber alle dreißig Jahre läßt Schigaljow einen Paroxysmus zu, und alle beginnen plötzlich einander aufzufressen, eine Zeitlang nur, damit das Leben nicht langweilig wird. Langeweile ist eine aristokratische Empfindung; die Schigaljowerei gestattet keine Wünsche. Wünsche und Leiden sind für uns, für die Sklaven ist die Schigaljowerei.«
»Sich selbst schließen Sie aus?« fragte Stawrogin abermals unwillkürlich.
»Sie auch. Wissen Sie, ich habe schon daran gedacht, die Welt dem Papst zu überlassen. Mag er doch mit bloßen Füßen und im Bettlergewand vor das Volk treten: ›Seht, was man mir angetan hat!‹, und alle werden ihm folgen, sogar die Armee. Der Papst ganz oben, wir um ihn und unter uns die Schigaljowerei. Das einzige, was not tut, ist, daß die Internationale sich mit dem Papst einverstanden erklärt; aber das wird so kommen. Und der alte Herr wird sofort zustimmen. Einen anderen Ausweg gibt es für ihn nicht, denken Sie an meine Worte, ha-ha-ha, ist das dumm? Sagen Sie, dumm oder nicht?«
»Es reicht«, murmelte Stawrogin ärgerlich.
»Es reicht! Hören Sie, ich lasse den Papst fallen! Zum Teufel mit der Schigaljowerei! Zum Teufel mit dem Papst! Wir brauchen Aktualität und nicht Schigaljowerei, weil die Schigaljowerei Juweliersarbeit ist. Das ist das Ideal, das ist für die Zukunft. Schigaljow ist ein Juwelier und dumm, wie jeder Philanthrop. Man braucht schmutzige Arbeit, aber Schigaljow verachtet schmutzige Arbeit. Hören Sie: im Westen der Papst, und bei uns, bei uns – Sie!«
»Verschwinden Sie, Sie sind betrunken«, murmelte Stawrogin und beschleunigte seine Schritte.
»Stawrogin, Sie sind ein schöner Mann!« rief Pjotr Stepanowitsch beinahe in Verzückung. »Wissen Sie, Sie sind ein schöner Mann! Das Beste an Ihnen ist, daß Sie es manchmal nicht wissen. Oh, ich habe Sie lange studiert! Ich beobachte Sie oft von der Seite, aus irgendeiner Ecke! Sie sind sogar zutraulich und naiv, wissen Sie das? Noch, noch sind Sie es! Wahrscheinlich leiden Sie, Sie leiden aufrichtig an dieser Zutraulichkeit. Ich liebe die Schönheit. Ich bin ein Nihilist, aber ich liebe die Schönheit. Lieben Nihilisten die Schönheit etwa nicht? Nur Götzen lieben sie nicht, gut, aber ich liebe einen Götzen. Sie sind mein Götze. Sie haben niemanden beleidigt, aber alle hassen Sie; Sie möchten sein wie die anderen, aber alle fürchten sich vor Ihnen, das ist gut so. Niemand tritt auf Sie zu, um Ihnen auf die Schulter zu klopfen. Sie sind ein schrecklicher Aristokrat. Ein Aristokrat, der sich der Demokratie verschreibt, ist einfach hinreißend! Es kostet Sie nichts, Leben zu opfern, sowohl das eigene als auch fremdes. Sie sind genau der, den man braucht. Ich, ich brauche genau so einen wie Sie. Ich weiß keinen anderen außer Ihnen. Sie sind der Führer, die Sonne, und ich bin Ihr Wurm …«
Plötzlich küßte er ihm die Hand. Stawrogin lief es kalt über den Rücken, und erschrocken riß er seine Hand zurück. Sie blieben stehen.
»Sie sind wahnsinnig!« flüsterte Stawrogin.
»Vielleicht bin ich verrückt, vielleicht bin ich
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