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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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errungene Form der Schönheit, ohne deren Erringung ich, vielleicht, gar nicht bereit bin zu leben … Mein Gott!« Er schlug die Hände zusammen. »Vor zehn Jahren habe ich genau dasselbe in Petersburg heruntergerufen, von einem Podium, wortwörtlich dasselbe, und man hat mich ebenfalls nicht verstanden, keine Silbe, hat genauso gelacht und gezischt wie jetzt; Ihr Kurzsichtigen, was fehlt Euch, um das zu begreifen? Begreift, begreift Ihr denn nicht, daß die Menschheit ohne Engländer auskommen kann, ohne Deutschland auskommen kann, ohne Russen nur allzu gut, ohne Wissenschaft, ohne Brot, und einzig und allein nicht ohne Schönheit, weil man sonst nichts auf der Welt zu suchen hätte! Darin liegt das ganze Geheimnis, darin liegt die ganze Geschichte! Sogar die Wissenschaft würde ohne die Schönheit nicht einen Augenblick bestehen – begreift Ihr das, Ihr Lacher? –, sie wird plebejisch werden und nicht einmal mehr einen Nagel erfinden! … Ich bestehe darauf!« schrie er ungehörig zum Schluß und schlug aus aller Kraft mit der Faust auf den Tisch.
    Aber während er sinnlos und unziemlich, mit sich überschlagender Stimme kreischte, brach auch die Ordnung im Saal zusammen, viele waren von ihren Stühlen aufgesprungen, anderen drängten sich nach vorn, zum Podium. Insgesamt geschah alles viel schneller, als ich es beschreiben kann, und man kam gar nicht dazu, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Vielleicht wollte man das auch gar nicht.
    »Am gedeckten Tisch läßt sich gut reden, Ihr Glückspilze!« brüllte dicht vor dem Podium derselbe Seminarist und grinste Stepan Trofimowitsch vergnügt ins Gesicht. Dieser bemerkte das und sprang mit einem Satz an den äußersten Rand des Podiums:
    »Habe ich nicht soeben verkündet, daß der Enthusiasmus unserer jungen Generation ebenso rein und lichtvoll ist wie früher und daß sie nur deshalb zugrunde geht, weil sie sich in den Formen des Schönen irrt! Ist Ihnen das zu wenig? Und wenn man bedenkt, daß dies die Aussage eines tödlich getroffenen, gekränkten Vaters ist, dann – oh, Ihr Kurzsichtigen –, dann muß man sich fragen, ob solche Unvoreingenommenheit und Gelassenheit übertroffen werden können. … Ihr Undankbaren … Ungerechten … warum wollt Ihr Euch nicht versöhnen? …«
    Und plötzlich brach er in ein hysterisches Schluchzen aus. Mit den Fingern wischte er sich die strömenden Tränen, seine Schultern und seine Brust wurden von dem Schluchzen geschüttelt … Er hatte alles auf der Welt vergessen.
    Das Publikum war entschieden erschrocken, fast alle erhoben sich von ihren Plätzen. Auch Julija Michajlowna sprang schnell auf, packte ihren Gatten beim Arm und zog ihn von seinem Sessel hoch … Der Skandal übertraf alle Vorstellungen.
    »Stepan Trofimowitsch!« brüllte der Seminarist mit sichtlichem Genuß. »Hier in der Stadt und in der Umgegend treibt sich Fedjka der Zuchthäusler herum, ein flüchtiger Sträfling. Er ist ein Räuber und hat erst kürzlich wieder einen Mord begangen. Erlauben Sie eine Frage: Wenn Sie ihn vor fünfzehn Jahren nicht zu den Rekruten getan hätten, um eine Spielschuld zu bezahlen, mit anderen Worten: Wenn Sie ihn nicht einfach verspielt hätten, wäre er dann Ihrer Meinung nach auch ins Zuchthaus gekommen? Hätte er jetzt im Kampf ums Dasein auch gemordet? Was sagen Sie nun, mein Herr Ästhet?«
    Ich sehe mich außerstande, die darauf folgende Szene zu schildern. Als erstes erscholl rasender Beifall. Es klatschten nicht alle, vielleicht ein Fünftel der Anwesenden, aber sie klatschten wie toll. Das übrige Publikum strömte zum Ausgang, aber da der applaudierende Teil des Publikums nach vorn, zum Podium drängte, entstand ein allgemeines Durcheinander. Die Damen stießen Schreie aus, die jungen Mädchen weinten und verlangten nach Hause. Lembke, immer noch an seinem Platz, blickte verwirrt um sich. Julija Michajlowna hatte den Kopf verloren, zum ersten Mal, seit sie ihre Laufbahn bei uns begonnen hatte. Was aber Stepan Trofimowitsch angeht, so schien er im ersten Augenblick durch die Worte des Seminaristen buchstäblich vernichtet; aber plötzlich hob er beide Arme, als wollte er sie über das Publikum ausstrecken, und rief:
    »Ich schüttle den Staub von meinen Füßen und verfluche … Schluß … Schluß …«
    Er wandte sich um und stürzte hinter die Kulissen, mit immer noch drohend erhobenen Armen.
    »Er hat die Gesellschaft beleidigt! … Her mit dem Werchowenskij!« brüllten die

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