Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
an einen unnützen alten Mann erinnern? ›Leben Sie mehr!‹ – das, mein Freund, wünschte mir zum letzten Geburtstag Nastassja ( ces pauvres gens ont quelquefois des mots charmants et pleins de philosophie ). Ich wünsche Ihnen nicht etwa viel Glück – das wird langweilig; ich wünsche Ihnen auch kein Unglück; sondern ich schließe mich der Philosophie des Volkes an und wiederhole einfach: ›Leben Sie mehr‹ und möglichst ohne sich viel zu langweilen. Und nun leben Sie wohl, im Ernst – leben Sie wohl. Und stehen Sie nicht länger vor meiner Tür, ich mache nicht auf.«
Er entfernte sich, und ich hatte nichts weiter erreicht. Ungeachtet seiner Erregung hatte er fließend gesprochen, gemessen, bedeutungsvoll und sichtlich bemüht zu überzeugen. Natürlich war er ein wenig verärgert und versuchte, sich indirekt an mir zu rächen, vielleicht wegen der gestrigen »Kibitka« und der sich »auseinanderschiebenden Dielen«. Seine öffentlich vergossenen Tränen bei der Matinee hatten ihn, ungeachtet eines gewissen Triumphes, in ein – er wußte es – komisches Licht gerückt, und dabei gab es keinen Menschen, der auf Schönheit und Strenge der Formen im Umgang mit Freunden größeren Wert gelegt hätte als Stepan Trofimowitsch. Oh, ich möchte ihm keine Schuld geben! Aber diese Pedanterie und dieser Sarkasmus, die er sich bewahrt hatte, trotz aller Erschütterungen, beruhigten mich damals: Ein Mensch, der sich, allem Anschein nach, im Verhältnis zu seiner sonstigen Art kaum verändert hatte, konnte in diesem Augenblick zu etwas Tragischem oder Exzentrischem gewiß nicht aufgelegt sein. So hatte ich damals überlegt und entschieden, aber, mein Gott, wie hatte ich mich getäuscht! Allzu vieles war meiner Aufmerksamkeit entgangen …
Dem Lauf der Ereignisse vorgreifend, führe ich an dieser Stelle die ersten Zeilen dieses Briefes an Darja Pawlowna an, den sie tatsächlich am folgenden Tag erhielt.
Mon enfant, meine Hand zittert, aber ich habe mit allem abgeschlossen. Sie haben meinem letzten Kampf mit den Menschen nicht beigewohnt, Sie waren bei dieser »matinée« nicht zugegen und haben gut daran getan. Aber man wird Ihnen berichten, daß in unserem an Charakteren bettelarmen Rußland ein mutiger Mann aufgestanden sei und, ungeachtet der Todesdrohungen, die von allen Seiten auf ihn niedergingen, diesen Narren die Wahrheit über sie gesagt habe, das heißt, daß sie Narren sind. Oh, ce sont des pauvres petits vauriens et rien de plus, des petits Narren, voilà le mot ! Die Würfel sind gefallen, ich verlasse diese Stadt auf ewig, und ich weiß nicht, wohin. Alle, die ich liebte, haben sich von mir abgewandt. Aber Sie, Sie, ein reines, unschuldiges Geschöpf, Sie, eine Sanfte, deren Schicksal nach dem Willen eines launischen und herrischen Herzens sich mit dem meinen vereinen sollte, Sie, die vielleicht mit Verachtung zugesehen hätte, wie ich am Vorabend unserer nicht stattgefundenen Eheschließung kleinmütige Tränen vergoß, Sie, die außerstande sein müßten, mich anders als eine lächerliche Figur zu sehen, oh, Ihnen gilt der letzte Schrei meines Herzens, Ihnen gilt meine letzte Pflicht, Ihnen allein! Es ist mir unmöglich, Sie auf ewig mit dem Gedanken an mich als einen undankbaren Toren, Ignoranten und Egoisten zu verlassen, wie es Ihnen vermutlich ein gewisses undankbares und grausames Herz, das ich aber leider, leider unmöglich vergessen kann, tagtäglich einredet …
Und so weiter, und so weiter, alles in allem vier Seiten großen Formats.
Nachdem ich als Antwort auf sein »Ich mache nicht auf« dreimal mit der Faust an die Tür gedonnert und ihm nachgerufen hatte, daß er heute noch Nastassja dreimal nach mir schicken, ich mich aber dann seiner nicht mehr erbarmen würde, drehte ich mich auf dem Absatz um und eilte zu Julija Michajlowna.
II
HIER wurde ich Zeuge einer empörenden Szene: Die arme Frau wurde offen hintergangen, und ich konnte nichts dagegen tun. In der Tat, was hätte ich ihr sagen können? Ich war inzwischen einigermaßen zu mir gekommen und hatte eingesehen, daß ich nur irgendwelche Empfindungen, argwöhnische Ahnungen vorbringen konnte, mehr aber nicht. Ich fand sie tränenüberströmt, fast in einem hysterischen Anfall, mit Eaude-Cologne-Umschlägen, ein Glas Wasser in Reichweite. Vor ihr standen Pjotr Stepanowitsch, ununterbrochen redend, und der Fürst, schweigend, als hätte er ein Schloß vor dem Mund. Weinend und schluchzend beschuldigte sie Pjotr Stepanowitsch
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