Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
einem der ersten hiesigen Häuser die Tochter der Generalin Drosdowa, ein junges Fräulein, »unehrenhaft« entführt habe, daß man über ihn in Petersburg Klage führen werde und daß seine Frau ermordet worden sei, damit er, das sei doch klar, die Drosdowa heiraten könne. Skworeschniki lag höchstens zweieinhalb Werst entfernt, und ich erinnere mich, daß ich überlegte: Sollte man nicht dort jemandem eine Nachricht zukommen lassen? Allerdings konnte ich nicht bemerken, daß jemand die Menge ausdrücklich aufgehetzt hätte, das muß ich zugeben, obwohl mir zwei oder drei Visagen der »Buffet-Helden« aufgefallen sind, die sich gegen Morgen an der Brandstätte eingefunden hatten und die ich sofort wiedererkannte. Aber besonders erinnere ich mich an einen hochgewachsenen schlaksigen Burschen, einen Kleinbürger, ausgemergelt, kraushaarig, wie mit Ruß beschmiert, einen Schlosser, wie ich später erfuhr. Er war nicht betrunken, aber im Gegensatz zu der finster harrenden Menge gleichsam außer sich. Immer wieder wandte er sich an das Volk, an seine Worte jedoch kann ich mich nicht mehr erinnern. Alles, was er an Zusammenhängendem sagte, war nicht mehr als: »Leute, wie ist das? Soll denn das so bleiben?« – und dabei ruderte er weitausholend mit den Armen.
Drittes Kapitel
Ein Roman ist zu Ende
I
AUS dem großen Saal in Skworeschniki (jenem Saal, in dem die letzte Begegnung Warwara Petrownas mit Stepan Trofimowitsch stattgefunden hatte) sah man das Feuer wie auf der flachen Hand. Als es tagte, gegen sechs Uhr morgens, stand Lisa am letzten Fenster rechterhand und betrachtete aufmerksam den erlöschenden Widerschein am Himmel. Sie war allein im Raum. Sie trug noch das festliche Kleid von gestern, in dem sie bei der Matinee erschienen war – hellgrün, prächtig, mit üppigem Spitzenbesatz, aber bereits zerknittert, in Eile und achtlos übergestreift. Als sie plötzlich bemerkte, daß es über der Brust nicht richtig zugeknöpft war, errötete sie, ordnete hastig das Kleid, nahm von einem Sessel das rote Tuch, das sie gestern beim Eintreten dorthin geworfen hatte, und legte es sich um den Hals. Ihr üppiges Haar in den inzwischen gelösten Locken fiel unter dem Tuch über ihre rechte Schulter. Ihr Gesicht war müde, besorgt, aber die Augen unter den gerunzelten Brauen glühten. Sie trat wieder an das Fenster und legte die heiße Stirn an die kalte Scheibe. Die Tür ging auf, und Nikolaj Wsewolodowitsch trat ein. »Ich habe einen Diener zu Pferd geschickt«, sagte er, »in zehn Minuten werden wir alles wissen, einstweilen reden die Leute davon, daß ein Teil von Saretschje, entlang des Ufers, rechts von der Brücke, in Asche liegt. Das Feuer ist bereits um Mitternacht ausgebrochen; jetzt läßt es nach.«
Er trat nicht ans Fenster, sondern blieb etwa drei Schritte hinter ihr stehen; aber sie wandte sich nicht um.
»Nach dem Kalender sollte es bereits vor einer Stunde tagen, dabei ist es immer noch beinahe Nacht«, sagte sie ärgerlich.
» Kalender lügen immer «, bemerkte er mit einem liebenswürdigen Lächeln und fügte eilig, der Peinlichkeit sich bewußt, hinzu: »Nach dem Kalender leben ist langweilig, Lisa!«
Darauf verstummte er endgültig, ärgerlich über diese erneute Banalität; Lisa lächelte höhnisch.
»Sie sind so melancholisch, daß Sie für mich keine Worte finden. Aber seien Sie getrost, Sie sagten etwas Zutreffendes: Ich lebe immer nach dem Kalender, jeden meiner Schritte berechne ich nach dem Kalender. Sie wundern sich?«
Sie wandte sich rasch vom Fenster ab und setzte sich in einen Sessel.
»Bitte, setzen Sie sich auch. Wir haben nicht viel Zeit zusammen, und ich will alles sagen, was mir gefällt … Warum sollten Sie nicht auch alles sagen, was Ihnen gefällt?«
Nikolaj Wsewolodowitsch setzte sich neben sie und nahm vorsichtig, beinahe ängstlich, ihre Hand.
»Was bedeutet diese Sprache, Lisa? Woher kommt sie plötzlich? Was bedeutet ›Wir haben nicht viel Zeit zusammen‹? Das ist doch schon der zweite rätselhafte Satz in der halben Stunde, seit du aufgewacht bist.«
»Sie zählen wohl meine rätselhaften Sätze? Erinnern Sie sich nicht, daß ich mich gestern beim Eintreten als eine Tote vorgestellt habe? Ausgerechnet dies zogen Sie vor zu vergessen. Zu vergessen oder zu überhören.«
»Ich weiß es nicht mehr, Lisa. Warum als eine Tote? Man muß leben …«
»Sie stocken? Sie haben Ihre Eloquenz eingebüßt? Ich habe mein Leben gelebt, und nun hat meine Stunde
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