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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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doch mehr als alle anderen, stand er doch der Sache am nächsten, hatte er doch intimste Einblicke und war, wenn auch bis jetzt nur mittelbar, so doch ununterbrochen tätig gewesen. Oh, er wußte sehr wohl, daß Pjotr Stepanowitsch ihn im äußersten Falle sogar schon jetzt vernichten könnte. Aber er hatte Pjotr Stepanowitsch schon immer gehaßt, und zwar nicht etwa wegen der Gefahr, sondern wegen des Hochmuts, mit dem er ihn behandelte. Jetzt, da ein Entschluß von solcher Tragweite gefaßt werden mußte, giftete er sich mehr als alle Unsrigen zusammengenommen. Leider, leider wußte er sehr wohl, daß er sich morgen zweifellos “wie ein Knecht” an Ort und Stelle einfinden und auch noch alle anderen dazu bewegen werde, und wenn sich ihm die Möglichkeit geboten hätte, sofort, noch vor morgen, Pjotr Stepanowitsch auf irgendeine Weise umzubringen, ohne sich selbst zu vernichten, versteht sich, dann hätte er ihn zweifellos umgebracht.
    Ganz in seine Gefühle versunken, trabte er schweigend neben seinem Peiniger her. Dieser schien ihn gänzlich vergessen zu haben; hin und wieder stieß er ihn versehentlich und unhöflich mit dem Ellbogen an. Plötzlich blieb Pjotr Stepanowitsch auf unserer respektabelsten Straße stehen und betrat dann ein Restaurant.
    »Wohin?« brauste Liputin auf. »Das ist doch ein Restaurant!«
    »Ich habe Lust auf ein Beefsteak.«
    »Aber ich bitte Sie, hier ist es immer sehr voll.«
    »Na, und?«
    »Aber … wir kommen zu spät. Es ist bereits zehn.«
    »Dort kommt man nie zu spät.«
    »Aber ich komme zu spät! Die warten doch auf meine Rückkehr!«
    »Sollen sie doch! Es wäre dumm von Ihnen, zu denen zurückzukehren. Ich bin heute Ihretwegen um mein Mittagessen gekommen. Je später man zu Kirillow kommt, desto besser.«
    Pjotr Stepanowitsch nahm ein Séparée. Liputin, aufgebracht und beleidigt, setzte sich in einen abseits stehenden Sessel und sah ihm beim Essen zu. So verging eine halbe Stunde, sogar mehr. Pjotr Stepanowitsch nahm sich Zeit, ließ es sich schmecken, läutete, verlangte einen anderen Senf, anschließend ein Bier und sprach während der ganzen Zeit nicht ein einziges Wort. Er schien tief in Gedanken versunken. Er konnte beides auf einmal – es sich schmecken lassen und tief in Gedanken versunken sein. Schließlich haßte ihn Liputin so sehr, daß er keinen Blick von ihm abwenden konnte. Es war eine Art Nervenanfall. Er zählte jeden Bissen Beefsteak, den er zum Munde führte, haßte ihn dafür, wie er den Mund aufmachte, wie er kaute, wie er genießerisch an den fetten Stücken lutschte, er haßte sogar das Beefsteak selbst. Endlich schien ihm alles vor den Augen zu verschwimmen; ihn schwindelte leicht, es rieselte ihm abwechselnd heiß und kalt über den Rücken.
    »Sie haben ja nichts zu tun, lesen Sie!« Pjotr Stepanowitsch warf ihm plötzlich ein Blatt Papier zu. Liputin beugte sich zur Kerze. Das Papier war eng beschrieben, die Schrift häßlich, jede Zeile mehrfach verbessert. Als er es endlich bewältigt hatte, hatte Pjotr Stepanowitsch bereits bezahlt und wollte gehen. Draußen auf dem Trottoir gab ihm Liputin das Blatt zurück.
    »Behalten Sie es; ich sage später, warum. Übrigens, was sagen Sie dazu?«
    Liputin zuckte zusammen.
    »Meiner Meinung nach … ist eine solche Proklamation … nichts als eine alberne Geschmacklosigkeit.«
    Seine Wut war nicht mehr zu hemmen; er hatte das Gefühl, als habe ihn etwas in die Luft hochgerissen und trage ihn dahin.
    »Wenn wir uns entschließen«, er schlotterte von Kopf bis Fuß, »derartige Proklamationen zu verbreiten, werden wir dank unserer Dummheit und falschen Einschätzung der Lage die allgemeine Verachtung auf uns ziehen.«
    »Hm, ich denke darüber anders.« Pjotr Stepanowitsch schritt, hart auftretend, weiter.
    »Und ich auch anders; das können Sie doch unmöglich selbst verfaßt haben?«
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Ich glaube auch, daß das Gedicht ›Die lichte Persönlichkeit‹, das jämmerlichste Gereimsel, das man sich denken kann, unter keinen Umständen von Herzen verfaßt wurde.«
    »Sie lügen; das Gedicht ist gut.«
    »Ich wundere mich ebenfalls darüber«, Liputin schwebte immer noch mutwillig und herausfordernd dahin, »daß wir zu einem Vorgehen angeleitet werden, das in einer allgemeinen Katastrophe gipfelt. In Europa ist es natürlich und wünschenswert, eine Katastrophe herbeizuführen, weil es dort das Proletariat gibt, wir dagegen sind nichts als Dilettanten und wirbeln meiner

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