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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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nur halbwach; einmal glaubte er, der Samowar werde aufgestellt, ein andermal, man flöße ihm etwas (Himbeertee) ein, man wärme ihm Leib und Brust. Aber er fühlte fast in jedem Moment, daß sie da war, in seiner Nähe; daß sie es war, die immer wieder kam und ging, ihm aus dem Bett half und ihn wieder zudeckte. Gegen drei Uhr morgens trat eine Besserung ein; er richtete sich auf, setzte sich auf den Bettrand, ließ die Beine hängen und fiel plötzlich, ohne etwas zu denken, vor ihr auf die Dielen. Das war nun nicht mehr der Kniefall von vorhin; er fiel ihr einfach zu Füßen und küßte den Saum ihres Kleides …
    »Nein, ich bitte Sie, ich bin es ja gar nicht wert«, stammelte sie, indem sie sich bemühte, ihm wieder auf das Bett zu helfen.
    »Meine Retterin«, er faltete andächtig vor ihr die Hände:
    » Vous êtes noble comme une marquise ! Und ich – ich bin ein Taugenichts! Oh, mein ganzes Leben lang war ich ehrlos …«
    »Beruhigen Sie sich«, beschwor ihn Sofja Matwejewna.
    »Alles, was ich Ihnen vorhin erzählte, war erlogen – aus Eitelkeit, um des schönen Scheins willen, aus Müßiggang –, alles, alles, bis auf das letzte Wort. Oh, ich bin ein Taugenichts, ein Taugenichts!«
    Auf diese Weise folgte der Cholerine der nächste Anfall, eine hysterische Selbstbezichtigung. Ich habe diese Anfälle bereits erwähnt, als ich von seinen Briefen an Warwara Petrowna berichtete. Plötzlich fiel ihm auch Lise ein und seine Begegnung mit ihr am gestrigen Morgen: »Es war so furchtbar und – es war sicherlich ein Unglück geschehen, ich aber habe sie nicht gefragt und mich nicht erkundigt! Ich war nur mit mir selbst beschäftigt! Oh, wie geht es ihr, wissen Sie vielleicht, wie es ihr geht?« Er flehte Sofja Matwejewna förmlich an.
    Und dann schwur er, er werde »treu bleiben«, er werde » zu ihr zurückkehren« (das heißt zu Warwara Petrowna). »Wir werden« (das heißt er mit Sofja Matwejewna zusammen) »an ihre Freitreppe kommen, jeden Tag, wenn sie in ihre Equipage steigt, um ihre allmorgendliche Ausfahrt zu machen, und ganz still zuschauen … Oh, ich möchte, daß sie mich auf die andere Wange schlägt: das soll mir eine Lust sein! Ich werde ihr meine andere Wange hinhalten comme dans votre livre ! Jetzt, jetzt erst habe ich verstanden, was es heißt, die andere … ›Backe darbieten‹ … Früher habe ich es nicht verstanden!«
    Für Sofja Matwejewna brachen die zwei furchtbarsten Tage ihres Lebens an; noch heute denkt sie nur schaudernd daran zurück. Stepan Trofimowitsch wurde so ernstlich krank, daß er mit dem Dampfer, der diesmal pünktlich um zwei Uhr mittags eintraf, nicht weiterfahren konnte; sie aber brachte es nicht über sich, ihn zu verlassen und allein nach Spassow zu fahren. Nach ihren Worten soll er sich sogar sehr gefreut haben, daß der Dampfer fort war.
    »Das ist ja prächtig, das ist ja wunderbar!« murmelte er auf seinem Bett. »Denn ich habe immer wieder befürchtet, wir würden weiterfahren. Hier ist es so schön, hier ist es am besten … Sie werden mich doch nicht verlassen? Oh, Sie haben mich ja schon nicht verlassen!«
    Indessen war es »hier« keineswegs so schön. Er wollte einfach die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatte, nicht zur Kenntnis nehmen. Sein Kopf war nur von Phantasien erfüllt. Seine eigene Krankheit hielt er für etwas Vorübergehendes, für eine Bagatelle und schenkte ihr überhaupt keine Beachtung, sondern er dachte nur daran, wie sie zusammen weiterziehen und »diese Bücher« verkaufen würden. Er bat sie, ihm aus dem Evangelium vorzulesen.
    »Ich habe schon lange nicht mehr gelesen … das Original. Es könnte ja sein, daß mich jemand etwas fragen würde, und ich würde einen Fehler machen; man muß sich doch vorbereiten.«
    Sie setzte sich neben ihn und schlug das Buch auf.
    »Sie lesen ja ausgezeichnet«, unterbrach er sie gleich nach dem ersten Satz. »Ich sehe, ich sehe, daß ich keinen Fehler gemacht habe«, fügte er unbestimmt, aber begeistert hinzu. Überhaupt befand er sich in einem Zustand anhaltender Begeisterung. Sie las ihm die Bergpredigt vor.
    » Assez, assez, mon enfant , genug … Glauben Sie etwa, diese Stelle sei nicht genug?«
    Darauf schloß er entkräftet die Augen. Er war sehr geschwächt, aber noch bei klarem Bewußtsein. Sofja Matwejewna wollte sich schon erheben in der Annahme, er möchte schlafen. Aber er hielt sie zurück:
    »Oh, meine Freundin, ich habe mein ganzes Leben lang gelogen. Sogar dann,

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