Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
zu verstehen und daß »bei uns in Rußland die großen Talente ruiniert werden«. Später sagte sie melancholisch: »Das waren alles so kluge Sachen.« Sie hörte sichtlich gequält zu, mit einem etwas starren Blick. Als aber Stepan Trofimowitsch sich auf Humor und geistreiche Sticheleien gegen unsere »Progressisten und Wortführer« verlegte, versuchte sie sogar in ihrem Kummer, ein paarmal als Echo auf sein Lachen zu lächeln, was ihr weniger nahe lag als zu weinen, so daß Stepan Trofimowitsch schließlich selbst verlegen wurde, um darauf noch heftiger und boshafter Nihilisten und »Neue Menschen« aufs Korn zu nehmen. Nun war sie ganz einfach erschrocken und atmete erst auf, als endlich der eigentliche Roman seinen Anfang nahm (die Hoffnung war übrigens trügerisch). Eine Frau bleibt immer eine Frau, sei sie auch eine Nonne. Sie lächelte, schüttelte den Kopf, wurde über und über rot und schlug die Augen nieder, wodurch sie Stepan Trofimowitsch in völlige Begeisterung versetzte und ihn so sehr inspirierte, daß er nicht selten ins Phantasieren geriet. Warwara Petrowna wurde auf diese Weise zu einer »entzückenden Brünetten« (»die Petersburg und zahlreiche Metropolen Europas in ihren Bann schlug«), und ihr Gatte starb, »getroffen von einer Kugel vor Sewastopol«, einzig aus dem Grunde, weil er sich ihrer Liebe nicht wert dünkte, auf sie verzichtete und seinem Nebenbuhler, das heißt ihm, Stepan Trofimowitsch, Platz machte … »Oh, werden Sie nicht verlegen, meine Stille, meine Christin!« rief er Sofja Matwejewna zu, beinahe selbst überzeugt davon, was er erzählte, »es war etwas so Hohes, etwas so Zartes, daß wir beide unser ganzes Leben lang uns nicht ein einziges Mal darüber ausgesprochen haben.« Die Ursache für diese Lage der Dinge tauchte im weiteren Verlauf der Erzählung in Gestalt einer Blondine auf (wenn es nicht Darja Pawlowna war, so weiß ich wirklich nicht, wen Stepan Trofimowitsch damit gemeint haben könnte). Diese Blondine hatte der Brünetten alles zu verdanken und war in deren Haus als entfernte Verwandte aufgewachsen. Als die Brünette endlich die Liebe der Blondine zu Stepan Trofimowitsch bemerkte, zog sie sich in sich selbst zurück. Die Blondine, ihrerseits die Neigung der Brünetten zu Stepan Trofimowitsch bemerkend, zog sich gleichfalls in sich selbst zurück. Und so schwiegen sie alle drei, überwältigt von der gegenseitigen Großmut und zurückgezogen in sich selbst. »Oh, welch eine Leidenschaft! Welch eine Leidenschaft!« rief er aus und schluchzte in echter Begeisterung. »Ich sah sie in der vollen Blüte ihrer (der Brünetten) Schönheit, ich sah, ›mit einem Geschwür am Herzen‹, sie Tag für Tag an mir vorübergehen, als schäme sie sich ihrer Schönheit.« (Einmal versprach er sich: »Als schäme sie sich ihrer Fülle.«) Endlich war er geflohen, um diesen zwanzigjährigen Fiebertraum hinter sich zu lassen. »Vingt ans!« Und nun die Landstraße … Und dann, mit überhitztem Kopf, begann er Sofja Matwejewna zu erklären, was ihre heutige »höchst zufällige, aber höchst schicksalhafte Begegnung für alle Ewigkeit bedeutet«. Sofja Matwejewna erhob sich schließlich in höchster Verlegenheit vom Sofa; er aber machte sogar Anstalten, vor ihr auf die Knie zu fallen, worauf sie schließlich in Tränen ausbrach. Es wurde dunkel; die beiden hatten bereits mehrere Stunden allein in der abgeschlossenen Stube verbracht.
»Nein, lassen Sie mich lieber in die andere Stube gehen«, stammelte sie, »was werden die Leute denken.«
Endlich durfte sie gehen; er ließ sie gehen, nachdem er ihr sein Wort gegeben hatte, sich unverzüglich schlafen zu legen. Beim Gute-Nacht-Sagen klagte er über heftige Kopfschmerzen. Sofja Matwejewna hatte, gleich nach ihrem Eintreffen, ihr Gepäck in der ersten Stube gelassen, in der Absicht, bei den Wirtsleuten zu übernachten. Aber es sollte ihr nicht gelingen, Ruhe zu finden.
Mitten in der Nacht wurde Stepan Trofimowitsch von der mir und allen seinen Freunden wohlbekannten Cholerine heimgesucht – die übliche Folge aller nervlichen Strapazen und seelischen Erschütterungen. Die arme Sofja Matwejewna tat die ganze Nacht kein Auge zu. Weil sie bei der Pflege des Kranken ziemlich oft ein und aus gehen mußte, jedesmal durch die Stube der Wirte, wo die Reisenden und die Wirtsleute schliefen, murrten diese und schimpften sogar, als sie gegen Morgen den Samowar aufstellen wollte. Solange der Anfall dauerte, war Stepan Trofimowitsch
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