Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Schweinen«, sagte er plötzlich.
»Wie bitte?« Sofja Matwejewna erschrak furchtbar.
»Von den Schweinen … es steht auch da … ces cochons … Ich erinnere mich, daß die bösen Geister in die Schweine fahren und alle ertrinken. Lesen Sie mir die Stelle unbedingt vor; ich werde Ihnen später sagen, warum. Ich möchte mich wirklich daran erinnern. Ich muß es wörtlich haben.«
Sofja Matwejewna kannte die Bibel gut und fand sogleich bei Lukas die Stelle, die ich als Motto meiner Chronik vorangestellt habe. Ich führe sie hier noch einmal an:
»Es war aber dort auf dem Berg eine große Herde Säue auf der Weide. Und sie baten ihn, daß er ihnen erlaube, in die Säue zu fahren. Und er erlaubte es ihnen. Da fuhren die bösen Geister von dem Menschen aus und fuhren in die Säue; und die Herde stürmte den Abhang hinunter in den See und ersoff. Als aber die Hirten sahen, was da geschah, flohen sie und verkündeten es in der Stadt und in den Dörfern. Da gingen die Leute hinaus, um zu sehen, was geschehen war, und kamen zu Jesus und fanden den Menschen, von dem die bösen Geister ausgefahren waren, sitzend zu Füßen Jesu, bekleidet und vernünftig, und sie erschraken. Und die es gesehen hatten, verkündeten ihnen, wie der Besessene gesund geworden war.«
»Meine Freundin«, sagte Stepan Trofimowitsch in großer Erregung, »Savez-vous, diese wunderbare und … ungewöhnliche Stelle war für mich zeitlebens ein Stein des Anstoßes … dans ce livre … so daß ich sie seit meinen Kindertagen nicht vergessen habe. Jetzt aber ist mir etwas aufgegangen; une comparaison. Jetzt geht mir überhaupt sehr vieles auf: Sehen Sie, diese bösen Geister, die aus dem Kranken in die Schweine fahren – das sind all die Seuchen, all die Miasmen und all der Unrat, sämtliche bösen Geister und die subalternen bösen Geister, die sich in unserm großen und geliebten Kranken, in unserm Rußland, angesammelt haben, seit Jahrhunderten, ja, seit Jahrhunderten! Oui, cette Russie, que j’aimais toujours . Aber eine große Idee und ein großer Wille werden das Land segnen, wie jenen wahnsinnigen Besessenen, und all diese bösen Geister, alles Gelichter, alles Ekelhafte, was an der Oberfläche schwärt, wird selbst darum bitten, in die Schweine fahren zu dürfen. Und vielleicht sind sie bereits in die Schweine gefahren! Das sind wir, wir und die anderen, und Petruscha … et les autres avec lui , und ich bin vielleicht der erste, an ihrer Spitze, wir werden uns, wahnsinnig und besessen, von den Felsen ins Meer stürzen und alle ertrinken, und das geschieht uns recht, weil wir nur dazu taugen. Aber der Kranke wird geheilt, und ›wird zu Jesu Füßen sitzen‹ … und alle werden es sehen und staunen … Meine Liebe, vous comprendrez après, denn jetzt greift es mich zu sehr an … vous comprendrez après … Nous comprendrons ensemble .«
Er begann zu phantasieren und verlor schließlich das Bewußtsein. So blieb es auch den ganzen folgenden Tag. Sofja Matwejewna saß neben ihm und weinte, sie hatte drei Nächte lang fast kein Auge zugetan und es vermieden, den Wirtsleuten unter die Augen zu treten, die, wie sie ahnte, bereits irgend etwas unternommen hatten. Erst der dritte Tag brachte die Erlösung. Stepan Trofimowitsch wachte am Morgen auf, erkannte sie und streckte ihr die Hand entgegen. Voller Hoffnung schlug sie das Kreuz. Er wünschte, einen Blick durch das Fenster zu tun. » Tiens, un lac !« sagte er. »Ach, mein Gott, ich hatte ihn noch gar nicht gesehen …« In diesem Augenblick fuhr vor dem Haus donnernd eine Equipage vor, und im Haus erhob sich ein außergewöhnlicher Tumult.
III
Es war Warwara Petrowna in eigener Person, die in einer viersitzigen Equipage, im Viererzug, mit zwei Lakaien und Darja Pawlowna, ankam. Das Wunder hatte einen einfachen Grund: Nachdem Anissim, der vor Neugier schier verging, in der Stadt angekommen war, hatte er sich am nächsten Tag in Warwara Petrownas Haus begeben und der Dienerschaft erzählt, er hätte Stepan Trofimowitsch mutterseelenallein in einem Dorf angetroffen, irgendwelche Bauern hätten ihn auf der Landstraße gesehen, mutterseelenallein, zu Fuß, ihn aufgelesen, und er reise nach Spassow weiter, über Ustjewo, nun zu zweit, mit Sofja Matwejewna. Da Warwara Petrowna ihrerseits inzwischen in großer Sorge war und ihren flüchtigen Freund überall suchen ließ, wurde Anissim sofort bei ihr gemeldet. Nachdem sie ihn angehört hatte, besonders über die näheren Umstände
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