Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
vergegenwärtigte, wurde sogar behauptet, sie habe sogar Tränen in den Augen gehabt. Schließlich war der Gottesdienst zu Ende, und unser Erzpriester Vater Pawel trat heraus, um die feierliche Predigt zu halten. Seine Predigten waren bei uns beliebt und ungemein geschätzt; man redete ihm sogar zu, sie drucken zu lassen, aber er konnte sich dazu nicht entschließen. An diesem Tag fiel die Predigt besonders lang aus.
Und da, bereits während der Predigt, fuhr vor der Kirche eine Dame vor, in einer leichten Droschke älterer Bauart, das heißt einer Droschke, in der eine Dame nur seitwärts sitzen konnte und sich am Gürtel des Kutschers festhalten mußte, wobei sie bei jedem Stoß der Equipage hin und her schwankte wie ein Grashalm im Wind. In unserer Stadt fahren solche Droschken immer noch. Als die Droschke an der Kirchenecke hielt – denn vor dem Portal standen eine Vielzahl von Equipagen und sogar einige Gendarmen –, sprang die Dame herunter und reichte dem Kutscher vier Kopeken in Silber.
»Das ist doch nicht zu wenig, Wanja!« rief sie, als sie sein langes Gesicht sah. – »Das ist alles, was ich habe«, fügte sie kläglich hinzu.
»Schon gut, Gott mit dir, wir haben ja nichts ausgemacht.« Der Kutscher winkte ab und sah sie an, als dächte er: “Man versündigt sich ja, wenn man dir was antut”; darauf steckte er seinen ledernen Beutel unter das Hemd, trieb das Pferd an und rollte davon, begleitet vom Spott der umstehenden Droschkenkutscher. Spott und sogar Staunen folgten der Dame die ganze Zeit, während sie sich zwischen den Equipagen und Lakaien, die auf das baldige Erscheinen ihrer Herrschaften warteten, bis zum Portal hindurchdrängte. Und tatsächlich, in dem plötzlichen Auftauchen einer solchen Person auf der Straße, mitten unter dem Volk, lag etwas Ungewöhnliches und Verblüffendes. Sie war krankhaft mager und hinkte, ihr Gesicht war grell weiß und rot geschminkt, der lange Hals bloß, sie trug weder ein Tuch noch einen Mantel, sondern nur ein abgetragenes dunkles Kleid, ungeachtet des kalten und windigen, wenn auch klaren Septemberwetters; ihr Kopf war unbedeckt, das Haar im Nacken zu einem winzigen Knoten geschlungen, in dem rechts eine einzige von jenen Papierrosen steckte, mit denen in der Palmwoche die Cherubim geschmückt werden. Einen solchen Cherubim im Kranz von Papierrosen hatte ich tags zuvor in der Ecke, unter den Ikonen, bemerkt, als ich Marja Timofejewna besuchte. Zu allem Überfluß schritt diese Dame zwar mit züchtig gesenkten Augen, jedoch zugleich vergnügt und verschmitzt lächelnd dahin. Hätte sie auch nur einen Augenblick gezögert, so hätte man sie vielleicht sogar daran gehindert, die Kirche zu betreten … Aber es gelang ihr, hineinzuschlüpfen und, sobald sie im Inneren war, sich unauffällig nach vorn zu drängen.
Obwohl es mitten in der Predigt war und die ganze dichtgedrängte Menge, die die Kirche füllte, mit voller und lautloser Aufmerksamkeit lauschte, schielten dennoch einige Augen neugierig und erstaunt nach der Eingetretenen. Sie ließ sich auf die Knie fallen, neigte ihr geschminktes Gesicht bis auf den Boden, blieb lange liegen und schien zu weinen; aber kaum hatte sie den Kopf gehoben und sich wieder aufgerichtet, als sie schon wieder getröstet und abgelenkt schien. Heiter und sichtlich vergnügt ließ sie die Augen über die Gesichter und über die Kirchenwände schweifen; besonders neugierig betrachtete sie einige Damen, wobei sie sich sogar auf die Zehenspitzen erhob und sogar ein paarmal eigentümlich kichernd lachte. Dann aber war die Predigt zu Ende, und das Kreuz wurde herausgetragen. Die Gouverneursgattin ging als erste auf das Kreuz zu, blieb aber zwei Schritte davor stehen, sichtlich bereit, Warwara Petrowna den Vortritt zu lassen, die von der anderen Seite, irgendwie besonders aufrecht, als bemerke sie niemand vor sich, direkt auf das Kreuz zuschritt. In der außerordentlich zuvorkommenden Geste der Gouverneursgattin lag zweifellos eine eindeutige und auf ihre Art ironische Spitze; so wurde es allgemein verstanden, vermutlich auch von Warwara Petrowna selbst; aber diese küßte, immer noch ohne jemand zu beachten, mit dem Ausdruck unerschütterlicher Würde das Kreuz und wandte sich dann sofort dem Ausgang zu. Der livrierte Lakai machte ihr den Weg frei, obgleich ohnehin alle vor ihr auseinandertraten. Aber unmittelbar vor dem Ausgang, vor dem Portal, versperrten einige sich drängende Menschen ihr für einen Augenblick den Weg.
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