Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Warwara Petrowna hielt an, und plötzlich ließ sich ein sonderbares, auffallendes Geschöpf, eine Frau mit einer Papierrose im Haar, die sich zwischen den Menschen hindurchgedrängt hatte, vor ihr auf die Knie fallen. Warwara Petrowna, die schwer in Verlegenheit zu bringen war, besonders vor Publikum, sah sie würdevoll und streng an.
Ich beeile mich an dieser Stelle anzumerken, wenn auch in aller Kürze, daß Warwara Petrowna, wenn sie auch dem Hörensagen nach in den letzten Jahren sehr genau rechnete und sogar knauserte, in manchen Fällen durchaus freigebig war, nämlich wenn es um Wohltätigkeit ging. Sie war Mitglied eines Wohltätigkeitsvereins in der Hauptstadt. Bei der letzten Hungersnot hatte sie nach Petersburg, an das Hauptkomitee zur Unterstützung Notleidender, ganze fünfhundert Rubel überwiesen, und davon wurde bei uns viel geredet. Und schließlich hatte sie, in jüngster Zeit, kurz vor der Ernennung des neuen Gouverneurs, bereits alle Anstalten getroffen, um ein örtliches Damenkomitee zur Betreuung mittelloser Wöchnerinnen in unserer Stadt und im Gouvernement zu gründen. Bei uns wurden gegen sie heftigste Vorwürfe des Ehrgeizes laut; aber das gewisse Ungestüm in Warwara Petrownas Charakter, verbunden mit ihrer großen Beharrlichkeit, hatte beinahe über alle Hindernisse triumphiert; der Verein war fast schon gegründet, und der ursprüngliche Einfall nahm in der entzückten Phantasie seiner Gründerin immer weitere Ausmaße an: Sie träumte bereits von der Gründung eines ebensolchen Komitees in Moskau und von der allmählichen Ausbreitung seines Wirkens über alle Gouvernemente. Und nun, mit dem plötzlichen Wechsel des Gouverneurs, geriet alles ins Stocken, und die neue Gouverneursgattin sollte bereits, wie getuschelt wurde, in der Gesellschaft einige spitze, vor allem zielsichere und zutreffende Einwände gegen die anscheinende Impraktikabilität der Gründung eines solchen Komitees erhoben haben, was, selbstverständlich mit Ausschmückungen, Warwara Petrowna bereits zugetragen worden war. Gott allein vermag die Tiefe des menschlichen Herzens zu ermessen, aber ich vermute, daß Warwara Petrowna sogar mit einem gewissen Vergnügen unter dem Portal stehenblieb, wohl wissend, daß im nächsten Augenblick die Gouverneursgattin an ihr vorbeigehen mußte, samt ihrem ganzen Gefolge, und daß sie “nun selber sehen mag, wie wenig ich mir daraus mache, was sie denkt und ob sie sich über den Ehrgeiz meiner Wohltätigkeit lustig macht! Da habt ihr’s alle!”
»Was ist Ihnen, meine Liebe? Was wünschen Sie?« Inzwischen hatte Warwara Petrowna die vor ihr kniende Bittstellerin aufmerksam betrachtet. Diese sah mit einem unendlich furchtsamen, scheuen, aber beinahe andächtigen Blick zu ihr auf und lachte sie plötzlich mit dem gleichen eigentümlichen Kichern an.
»Was hat sie? Wer ist sie?« Warwara Petrowna sah sich herrisch, mit fragendem Blick, im Kreise um. Alle schwiegen.
»Sie sind unglücklich? Sie brauchen Hilfe?«
»Ich brauche … ich komme …«, lallte die »Unglückliche« mit vor Aufregung versagender Stimme, »ich komme, um Ihnen nur das Händchen zu küssen …«, und kicherte abermals. Mit jenem kindlichen Blick, mit dem Kinder sich einschmeicheln, wenn sie um etwas betteln, wollte sie schon Warwara Petrownas Hand ergreifen, zog aber plötzlich, wie erschrocken, ihre Hände wieder zurück.
»Nur deshalb sind Sie hierhergekommen?« Warwara Petrowna lächelte ein mitleidiges Lächeln, zog aber im selben Augenblick aus der Tasche rasch ihr Perlmutt-Portemonnaie, aus diesem einen Zehn-Rubel-Schein und reichte ihn der Unbekannten. Sie nahm ihn.
Warwara Petrowna schien sehr interessiert und hielt die Unbekannte offenbar nicht für eine gewöhnliche Bittstellerin aus dem Volk.
»Sieh mal an, die gibt ihr zehn Rubel«, sagte jemand in der Menge.
»Das Händchen, erlauben Sie, das Händchen«, lallte die Unglückliche, die den überreichten Zehn-Rubel-Schein an einer Ecke mit den Fingern der linken Hand festhielt, so daß er im Winde flatterte. Warwara Petrowna runzelte aus irgendeinem Grunde ein wenig die Brauen und hielt ihr mit ernster, beinahe strenger Miene die Hand entgegen; die andere küßte sie ehrfürchtig. In ihrem dankbaren Blick funkelte sogar etwas wie Verzückung. Ausgerechnet in diesem Augenblick näherte sich die Gattin des Gouverneurs, und mit ihr strömte eine ganze Schar unserer Damen und höherer Amtspersonen herzu. Die Gouverneursgattin war gezwungen, in
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