Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Rückenlehne ihres Sessels.
Sie war so bleich geworden, daß alle sogar in Unruhe gerieten. Stepan Trofimowitsch eilte als erster auf sie zu; ich näherte mich ihr ebenfalls; sogar Lisa erhob sich von ihrem Platz, blieb aber vor ihrem Sessel stehen; am meisten jedoch erschrak Praskowja Iwanowna selbst: Sie schrie auf, erhob sich, soweit es ihr möglich war, und jammerte kläglich, beinahe lauthals:
»Liebe, gute Warwara Petrowna! Vergeben Sie mir, der bösen dummen Gans! Warum bringt ihr nicht wenigstens jemand Wasser!«
»Jammere nicht, Praskowja Iwanowna, ich bitte dich, und Sie, meine Herren, lassen Sie mich in Ruhe, tun Sie mir den Gefallen! Und bitte kein Wasser!« kam es deutlich, wenn auch nicht laut von Warwara Petrownas weißen Lippen.
»Meine Liebe!« fuhr Praskowja Iwanowna, die sich inzwischen ein wenig beruhigt hatte, fort. »Meine liebe Freundin Warwara Petrowna, ich fühle mich zwar schuldig, weil ich unbedacht geredet habe, aber diese anonymen Briefe haben mich über alle Maßen gereizt, die Briefe, mit denen mich irgendein Gesindel bombardiert; Ihnen hätten die schreiben sollen, wenn schon über Sie geschrieben werden muß, denn ich, meine Liebe, habe eine Tochter!«
Warwara Petrowna sah sie wortlos, mit weit aufgerissenen Augen, an und hörte erstaunt zu. In diesem Augenblick öffnete sich geräuschlos eine Seitentür in der Ecke, und Darja Pawlowna trat ein. Sie blieb stehen und sah sich im Kreise um; unsere allgemeine Unruhe verblüffte sie. Vermutlich hatte sie auch Marja Timofejewna, die ihr von keinem angekündigt worden war, nicht sogleich bemerkt. Stepan Trofimowitsch sah sie als erster, fuhr hastig auf, errötete und verkündete aus irgendeinem Grunde laut: »Darja Pawlowna!«, so daß aller Augen sich gleichzeitig auf die Eingetretene richteten.
»Wie? Das ist also Eure Darja Pawlowna?« rief Marja Timofejewna. »So was, Schatuschka, weißt du, deine Schwester sieht dir überhaupt nicht ähnlich! Wie kann der Meinige nur so etwas Hübsches die leibeigene Magd Daschka nennen!«
Darja Pawlowna hatte sich unterdessen Warwara Petrowna genähert, wandte sich aber, von dem Ausruf Marja Timofejewnas überrascht, schnell nach ihr um und blieb darauf reglos vor ihrem Stuhl stehen, den Blick lange und unverwandt auf die Närrin geheftet.
»Setz dich, Dascha«, sagte Warwara Petrowna mit einer unheimlichen Ruhe, »komm näher, so; du kannst diese Frau auch im Sitzen betrachten. Kennst du sie?«
»Ich habe sie nie gesehen«, antwortete Dascha leise und fügte sogleich nach kurzem Schweigen hinzu: »Vermutlich ist das die kranke Schwester eines gewissen Herrn Lebjadkin.«
»Auch ich sehe Sie heute zum ersten Mal, mein Herz, obwohl ich schon seit langem vor Neugier brenne, Ihre Bekanntschaft zu machen, weil ich in jeder Ihrer Gesten die gute Erziehung sehe«, rief Marja Timofejewna begeistert. »Und wenn mein Lakai schimpft, dann ist es überhaupt unmöglich, daß Sie sein Geld genommen hätten, weil Sie doch so wohlerzogen und so lieb sind! Weil Sie eine Liebe sind, eine Liebe, das sage ich Ihnen in meinem eigenen Namen!« schloß sie entzückt, wobei sie ihre kleine Hand vor sich hin und her bewegte.
»Verstehst du etwas?« fragte Warwara Petrowna mit stolzer Würde.
»Ich verstehe alles …«
»Hast du von dem Geld gehört?«
»Das ist wahrscheinlich jenes Geld, das ich auf Nikolaj Wsewolodowitschs Bitte, noch in der Schweiz, diesem Herrn Lebjadkin, ihrem Bruder, überbringen sollte.«
Es folgte ein allgemeines Schweigen.
»Hat Nikolaj Wsewolodowitsch persönlich dich gebeten, das Geld zu überbringen?«
»Es lag ihm sehr viel daran, dieses Geld, alles in allem dreihundert Rubel, Herrn Lebjadkin zukommen zu lassen. Da er aber seine Anschrift nicht kannte, sondern nur wußte, daß er in unsere Stadt kommen wollte, trug er mir auf, das Geld zu übergeben, falls Herr Lebjadkin eintreffen würde.«
»Was ist das für Geld, das … abhanden gekommen ist? Wovon hat diese Frau jetzt gesprochen?«
»Das weiß ich nicht; es ist mir auch schon zu Ohren gekommen, daß Herr Lebjadkin laut behauptete, ich hätte ihm nicht alles ausgehändigt; aber ich verstehe diese Reden nicht. Es waren dreihundert Rubel, und ich habe ihm dreihundert Rubel zukommen lassen.«
Darja Pawlowna hatte sich schon beinahe vollkommen gefaßt. Ich möchte bemerken, daß es nicht leicht war, dieses junge Mädchen überhaupt für längere Zeit zu verblüffen und zu verwirren – was sie auch immer im stillen empfinden
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