Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
es als erste, denn ich liebe Gerechtigkeit. Natürlich hast auch du dich nicht beherrscht und irgendeinen Anonymus erwähnt. Jede anonyme Verleumdung verdient schon allein deshalb Verachtung, weil sie nicht unterschrieben ist. Wenn du anders darüber denkst, so kann ich dich nicht beneiden. Jedenfalls hätte ich an deiner Stelle einen solchen Dreck nicht aufgetischt und mir daran nicht die Finger schmutzig gemacht. Und du hast dir die Finger schmutzig gemacht. Aber da du nun einmal davon angefangen hast, so will ich dir sagen, daß auch ich, etwa vor sechs Tagen, ebenfalls einen anonymen, närrischen Brief bekommen habe. In diesem Brief versichert mir ein Schurke, Nikolaj Wsewolodowitsch habe den Verstand verloren und ich müsse mich vor einer lahmen Frau in acht nehmen, die ›in meinem Schicksal eine außerordentliche Rolle spielen‹ werde, ich habe mir diesen Ausdruck gemerkt. Ich überlegte und schickte, da ich wußte, daß Nikolaj Wsewolodowitsch außerordentlich viele Feinde hat, sofort nach einem der Hiesigen, dem heimlichsten, allerrachsüchtigsten und allerverächtlichsten unter allen seinen Feinden, und aus den Unterhaltungen mit ihm konnte ich mich sogleich von der verachtungswürdigen Herkunft des Anonymus überzeugen. Wenn auch du, meine liebe Praskowja Iwanowna, meinetwegen mit entsprechend verabscheuungswürdigen Briefen inkommodiert und, wie du dich ausdrückst, ›bombardiert‹ worden bist, so bin ich natürlich die erste, die es bedauert, die unschuldige Ursache gewesen zu sein. Das ist alles, was ich dir zur Erklärung sagen wollte. Bedauerlicherweise sehe ich, daß du sehr müde bist und jetzt auch echauffiert. Außerdem bin ich unumstößlich entschlossen, diesen verdächtigen Menschen sogleich hereinzulassen, über den Mawrikij Nikolajewitsch den nicht ganz passenden Ausdruck gebraucht hat: man könne ihn nicht empfangen. Lisa insbesondere hat hier nichts mehr verloren. Komm zu mir, Lisa, laß mich dir noch einen Kuß geben.«
    Lisa durchquerte das Zimmer und blieb schweigend vor Warwara Petrowna stehen. Diese küßte sie, nahm sie bei den Händen, schob sie ein wenig von sich weg, sah sie bewegt an, bekreuzte sie dann und küßte sie noch einmal.
    »Also, leb wohl, Lisa« (in Warwara Petrownas Stimme hörte man fast die Tränen), »glaub mir, daß ich nie aufhören werde, dich zu lieben, was dir das Schicksal künftig auch bescheren mag … Gott sei mit dir. Ich habe mich stets gedemütigt unter die heilige Hand Gottes.«
    Sie wollte noch etwas hinzufügen, beherrschte sich aber und schwieg. Lisa ging, immer noch wortlos und wie versonnen, zu ihrem Platz zurück, blieb aber plötzlich vor ihrer Mutter stehen.
    »Ich möchte nicht mitfahren, Mama, und noch eine Weile bei Tante bleiben«, sagte sie mit leiser Stimme, aber in diesen leisen Worten klang eine eiserne Entschlossenheit mit.
    »O mein Gott, was soll denn das!« rief Praskowja Iwanowna und schlug kraftlos die Hände zusammen. Aber Lisa ging nicht darauf ein, sie schien es sogar überhört zu haben; sie setzte sich wie früher in die Ecke und starrte wieder irgendwohin in die Luft.
    Triumph und Stolz erhellten Warwara Petrownas Gesicht.
    »Mawrikij Nikolajewitsch, ich habe eine außerordentliche Bitte an Sie, tun Sie mir den Gefallen, gehen Sie nach unten und sehen Sie sich diesen Mann an, und wenn es auch nur irgend möglich ist, ihn hereinzulassen, so bringen Sie ihn hierher.«
    Mawrikij Nikolajewitsch verneigte sich und ging. Eine Minute später führte er Herrn Lebjadkin herein.
    IV
    IRGENDWANN bin ich bereits auf das Äußere dieses Herrn zu sprechen gekommen: ein großgewachsener, kraushaariger kräftiger Bursche von ungefähr vierzig Jahren, mit blaurotem, ein wenig aufgequollenem und gedunsenem Gesicht, mit Hängebacken, die bei jeder Kopfbewegung zitterten, mit kleinen, blutunterlaufenen, bisweilen ziemlich listigen Augen, mit Schnurr- und Backenbart, fleischigem Adamsapfel, eine ziemlich unangenehme Erscheinung. Das Verblüffendste an ihm war jetzt der Frack und die tadellose Wäsche. »Es gibt Menschen, an denen reinliche Wäsche sogar unschicklich ist«, hatte Liputin einmal entgegnet, als Stepan Trofimowitsch ihn wegen seiner Nachlässigkeit hänselte. Der Hauptmann hatte auch Handschuhe, schwarze Handschuhe, deren rechten, noch nie getragenen er in der Hand hielt, während der linke, mühsam übergezogen und nicht zugeknöpft, zur Hälfte seine fleischige linke Pranke bedeckte, in der er einen funkelnagelneuen,

Weitere Kostenlose Bücher