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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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glänzenden und gewiß zum ersten Mal in Gebrauch genommenen runden Hut hielt. Es stellte sich also heraus, daß der gestrige »Liebesfrack«, von dem er vor Schatows Tür gebrüllt hatte, wirklich existierte. Alles, das heißt Frack und Weste, war (wie ich später erfuhr) auf Liputins Rat für irgendwelche geheimnisvollen Absichten angeschafft worden. Es bestand kein Zweifel, daß er auch jetzt nur auf fremden Rat und mit fremder Hilfe in einer Droschke vorgefahren war, denn er hätte in einer Dreiviertelstunde weder einen Plan fassen noch sich umkleiden, noch das Nötige bedenken, noch sich entschließen können, selbst wenn man annimmt, daß die Szene vor dem Kirchenportal ihm sogleich bekannt geworden wäre. Er war nicht betrunken, befand sich aber in jenem bedrückten, umnebelten, schwerfälligen Zustand eines Menschen, der nach einer tagelangen Sauftour plötzlich aufwacht. Man hatte den Eindruck, daß man ihn nur mit der Hand bei der Schulter zu packen und ein paarmal zu schütteln brauchte, damit er sofort wieder in den Rausch zurücksänke.
    Er hatte beabsichtigt, schwungvoll den Salon zu betreten, stolperte aber plötzlich an der Tür über den Teppich. Marja Timofejewna schüttelte sich vor Lachen. Er warf ihr einen wütenden Blick zu und machte plötzlich einige rasche Schritte in Warwara Petrownas Richtung.
    »Ich komme, gnädige Frau, um …«, posaunte er in voller Lautstärke.
    »Tun Sie mir den Gefallen, mein Herr«, Warwara Petrowna richtete sich kerzengerade auf, »und nehmen Sie dort Platz, auf jenem Stuhl. Ich kann Sie auch von dort hören und werde Sie von hier besser sehen.«
    Der Hauptmann hielt an, blickte stumpf vor sich hin, machte jedoch kehrt und setzte sich auf den ihm angewiesenen Stuhl, unmittelbar an der Tür. Starke Unsicherheit, zugleich aber Unverschämtheit und ständige Gereiztheit drückten sich in seiner Physiognomie aus. Es war ihm nicht wohl in seiner Haut, aber seine Eigenliebe litt ebenfalls, und es war unschwer zu erraten, daß er, trotz seiner Feigheit, bei Gelegenheit vor lauter verletzter Eigenliebe sich sogar zu jeder Unverschämtheit hinreißen lassen könnte. Er fürchtete offensichtlich um jede Bewegung seines ungeschlachten Körpers. Es ist bekannt, daß für alle Herrschaften dieser Art, wenn sie durch irgendeinen märchenhaften Zufall in die gute Gesellschaft geraten, das schlimmste Kreuz ihre eigenen Hände sind, nebst der sich jeden Augenblick bestätigenden Unmöglichkeit, sie irgendwo manierlich unterzubringen. Der Hauptmann erstarrte auf seinem Stuhl, Hut und Handschuhe in der Hand, ohne seinen stumpfen Blick von Warwara Petrownas strengem Gesicht abzuwenden. Möglicherweise hätte er sich gern genauer umgesehen, aber vorläufig traute er sich noch nicht. Marja Timofejewna, die wahrscheinlich seine Erscheinung wieder furchtbar komisch fand, lachte von neuem, aber er rührte sich nicht. Warwara Petrowna ließ ihn ohne Erbarmen lange, eine ganze Minute lang, in dieser Lage verharren und musterte ihn schonungslos.
    »Gestatten Sie als erstes, von Ihnen persönlich Ihren Namen zu hören«, sprach sie gemessen und mit Nachdruck.
    »Hauptmann Lebjadkin«, posaunte der Hauptmann. »Ich komme, gnädige Frau, um …«, und er machte wieder Anstalten, sich zu erheben.
    »Gestatten Sie!« unterbrach ihn Warwara Petrowna wieder. »Ist dieses bedauernswürdige Geschöpf, das mich so sehr interessiert, tatsächlich Ihre Schwester?«
    »Meine Schwester, gnädige Frau, der Aufsicht entwischt, denn sie ist in Umständen, die …«
    Er stockte plötzlich und lief dunkelrot an.
    »Bitte mich nicht mißzuverstehen, gnädige Frau«, er verwirrte sich immer mehr, »der eigene Bruder wird doch nicht die Ehre … in anderen Umständen bedeutet doch nicht in anderen Umständen … in dem Sinn von der Reputation abträglichen … zuletzt …«
    Und er verstummte plötzlich.
    »Mein Herr!« Warwara Petrowna warf den Kopf zurück.
    »In solchen Umständen!« brachte er jäh hervor und tippte sich mit dem Finger mitten auf die Stirn. Darauf folgte einiges Schweigen.
    »Leidet sie schon lange daran?« fragte Warwara Petrowna leicht gedehnt.
    »Gnädige Frau, ich komme, um für die vor der Kirchentür erwiesene Großmut auf russische Art, brüderlich, zu danken …«
    »Brüderlich?«
    »Vielmehr nicht brüderlich, sondern einzig und allein in dem Sinne, daß ich meiner Schwester Bruder bin, gnädige Frau. Und glauben Sie, gnädige Frau …« Er sprach atemlos und lief wieder

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