Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8
sich meistens erstmals im Alter zwischen fünfzehn und zwanzig. Es passt nicht zu der kaltblütigen Planung, mit der wir es zu tun haben. Klingt deine Geschichte etwa nach einem Mann, der sich unbemerkt unter eine medizinische Konferenz mischen könnte? Oder nach verzögerter Rache und jahrelang vorausgeplanten Morden?«
»Nein. Der Polizeichef sagte, der Knabe wäre ein Idiot gewesen, doch ein Talent hätte er gehabt: Musik. Er hätte sich selbst Gitarre, Mandoline und Banjo beigebracht und eine Reihe anderer Instrumente.«
»Ein zweiter Elvis.«
»Exakt. Eine Zeit lang dachte man, er könnte es wirklich zu etwas bringen. Bis er eines Tages plötzlich die Stadt verließ und niemand mehr von ihm hörte.«
»Wie lang ist das her?«
»Das war neunzehnsiebzig. Er war also erst zwölf.«
»Weißt du, warum er damals wegging?«
»Er war wieder wegen Trunkenheit und Randalieren eingesperrt gewesen. Der Sheriff hielt ihm die übliche Predigt und gab ihm ein paar Dollar für einen Haarschnitt. Er hoffte, der Junge würde sich vielleicht besser benehmen, wenn er entsprechend aussähe. Lyle ging vom Polizeirevier direkt zum Bahnhof. Der Sheriff fand später heraus, dass er das ganze Geld in eine Fahrkarte nach Atlanta investiert hatte.«
»Mit zwölf«, sagte ich. »Vielleicht ist er weiter gekommen, bis Santa Barbara, und von de Bosch als Sozialfall aufgenommen worden. De Bosch legte immer Wert darauf, in der Öffentlichkeit als Wohltäter zu erscheinen.«
»Ich wünschte, ich könnte die Schulakten in die Finger bekommen. Die scheinen komplett verschwunden zu sein.«
»Hast du es schon bei den Bundesbehörden versucht? Vielleicht hat de Bosch Regierungsmittel beantragt, wegen der Sozialfälle, die er aufnahm.«
»Ich bin nicht sicher, wie lange diese Stellen die Akten aufbewahren, aber ich werde nachfragen. - Bis jetzt kriege ich diesen Gritz einfach nicht zu fassen. Das erste Mal, dass er in Kalifornien polizeilich erfasst wurde, war vor neun Jahren, das heißt, über zehn Jahre, nachdem er aus Georgia verschwunden war. Wenn er in anderen Nestern mit Bagatellsachen aufgefallen ist, dann muss das nicht unbedingt im großen Computer gelandet sein, aber irgendetwas würde ich trotzdem erwarten in der langen Zeit. Er ist mit Sicherheit ein faules Ei. Wo war er nur die ganze Zeit?«
»Hast du an psychiatrische Krankenhäuser gedacht? Zwölf Jahre alt, ganz allein - es könnte ihm da draußen alles Mögliche passiert sein. Er könnte zusammengebrochen und in eine Anstalt gesteckt worden sein. Oder wenn er zur gleichen Zeit bei de Bosch war wie der Junge, der sich totgefahren hat, Delmar Parker: Das könnte ihm psychisch den Rest gegeben haben.«
»Und jetzt gibt er de Bosch und dem Heim und allen, die damit zu tun hatten, die Schuld - aber für was? Natürlich, was du sagst, klingt plausibel. Ich wollte nur, wir kämen endlich über die Theorie hinaus. Ich wollte, wir könnten zeigen, dass Gritz in Santa Barbara war, und klären, was eigentlich in diesem Heim los war und was mit dem Parker-Jungen passiert ist.«
»Konntest du die Mutter ausfindig machen?«
»In New Orleans gibt es sie nicht. Andere Verwandte habe ich auch nicht gefunden. - Für wann hast du dich eigentlich mit Rosenblatts Sohn verabredet?«
»In zwei Stunden.«
»Viel Glück, und mach dir keine Sorgen, hier ist alles unter Kontrolle. Robin macht sich gut in unserer Wohngemeinschaft. Sie gehört schon fast zur Familie. Vielleicht behalten wir sie.«
»Das glaube ich nicht.«
Er lachte. »Warum? Der Köter kann auch hierbleiben. Ich würde ihm einen Zwinger bauen, im Garten, und...«
Ich legte auf.
Rosenblatts Büro befand sich in einem zweihundert Meter hohen Kalksteinturm. Ich ging durch die Eingangshalle, eine Orgie aus Marmor und Granit, und ließ mich von einem der Liftboys in den dreiunddreißigsten Stock bringen, zu Schlechter, Mohl und Trimmer.
Die Frau an der Rezeption schlug in einem dicken Terminbuch nach und sagte: »Mr. Rosenblatt wird Ihnen gleich zur Verfügung stehen.«
Ich wartete zwanzig Minuten, dann öffnete sich eine Tür, hinter der die Privatbüros liegen mussten, und ein gut aussehender junger Mann kam auf mich zu.
»Dr. Delaware? Ich bin Joshua Rosenblatt.« Er lächelte nicht. Nur ein trockener, fester Händedruck.
Sein Büro war überraschend klein, doch eine der Wände bestand aus Glas und gewährte einen faszinierenden Blick auf die Stadt.
Überall Dokumente, auch auf einem der beiden Besucherstühle vor
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