Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8
seinem Schreibtisch. Ich setzte mich auf den anderen. Rosenblatt ließ sich irgendwo zwischen seinen Papieren nieder und musterte mich.
»Welche Art Recht praktizieren Sie?«, begann ich die Unterhaltung.
»Ich bin Geschäftsanwalt.«
Er klimperte mit den Fingerspitzen auf der Schreibtischkante und fixierte mich weiter.
»Dasselbe Gesicht wie auf dem Foto«, sagte er. »Ich hätte jemand Älteren erwartet, eher in - Vaters Alter.«
»Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich die Zeit für mich nehmen. Wenn ein naher Angehöriger ermordet wird«
»Es war kein Mord!«, fuhr er mich an. »Jedenfalls nicht offiziell. Offiziell hat er Selbstmord begangen. Der Rabbi hat es nur als Unfall akzeptiert, damit er neben seinen Eltern beerdigt werden konnte.«
»Selbstmord?«
»Sie haben ihn doch getroffen... Machte er auf Sie einen unglücklichen Eindruck?«
»Ganz im Gegenteil.«
»Ja, verdammt, im Gegenteil.« Er wurde rot vor Wut. »Er hat das Leben geliebt. Es hat ihm Spaß gemacht. Wir zogen ihn immer auf, dass er nie erwachsen werden wollte. Deshalb war er ein so guter Psychiater. Er war so ein glücklicher Kerl, dass seine Kollegen Witze über ihn machten: Harvey Rosenblatt, der einzige Psychiater in New York, der nicht selbst Therapie braucht.«
Er kam um den Schreibtisch herum.
»Depressionen kannte er gar nicht. Er war nie schlecht gelaunt. Er war ein großartiger Vater. Er spielte Fußball mit mir, obwohl er nie einen Ball traf. Was immer er gerade tat, er nahm sich stets die Zeit, alles fallen zu lassen und uns zuzuhören. Wir wussten, was wir an ihm hatten, alle drei, wir waren dankbar für ihn, weil wir wussten, wie andere Väter waren. Wir haben nie geglaubt, dass er sich umgebracht hat, aber die Polizei wollte nichts davon hören. ›Die Beweise sind eindeutig, sagten sie immer wieder, als hätten sie den Spruch auswendig gelernt.«
Er fluchte und schlug auf den Schreibtisch. »Die Polizei hier ist nicht anders als die übrigen Bürokraten in dieser Stadt. Sie zogen ihre Routine durch und sagten: ›Okay, das war’s, dann können wir ja Feierabend machen. Wir heuerten einen Privatdetektiv an, jemanden, der schon mal für die Firma gearbeitet hatte, aber der folgte nur den Schritten der Polizei und speiste uns mit derselben Antwort ab. Sie sehen, ich sollte eigentlich froh sein, dass Sie hier sind und mir erzählen, dass ich nicht spinne.«
»Wie ist es passiert, nach Meinung der Polizei? Ein Autounfall, oder ist er irgendwo hinuntergefallen?«
Sein Kopf zuckte zurück, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Er starrte mich an und begann seinen Schlips zu lockern, nur um ihn dann noch fester zu ziehen. Dann griff er nach seinem Jackett und warf es sich über die Schulter.
»Kommen Sie. Ich muss hier raus.«
»Sind Sie in Form?« Er schaute mich an, von oben bis unten. »Einigermaßen«, antwortete ich.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, zwanzig Blocks zu laufen?«
Ich schüttelte den Kopf, und wir gingen los.
Ich dachte, er würde in die fünfundsechzigste Straße einbiegen, wo Shirley Rosenblatt wohnte und auch ihre Praxis hatte, aber er ging weiter bis zur siebenundsechzigsten, dann zwei Blocks Richtung Osten und blieb vor einem acht Stockwerke hohen, schmucklosen Backsteinbau stehen. Im Erdgeschoss waren diverse Arztpraxen.
Er zeigte nach oben. »Da ist es passiert. Eine Wohnung im obersten Stockwerk. Die Polizei sagt, er sei gesprungen.«
»Wem hat die Wohnung gehört?«
Er schaute noch einige Sekunden nach oben, dann auf den Boden. Dann auf die Geranien vor dem Fenster eines Dermatologen, direkt vor uns. Sein Gesicht war starr vor Schmerz.
»Das muss Ihnen meine Mutter erzählen.«
26
Shirley Rosenblatt sah besser aus, als ich erwartet hatte. Sie saß aufrecht in einem Krankenhausbett, bis zur Hüfte unter einer weißen Überdecke. Ihr Haar war noch blond, künstlich aufgehellt, ihr zartes Gesicht immer noch hübsch.
Neben dem Bett standen ein Korbstuhl und eine Holzkommode mit etlichen Parfümflaschen darauf. Daneben ein Stapel Zeitschriften und ein Fingertrainer. Auf der anderen Seite, auf einem Teakholzgestell, stand ein Seewasseraquarium, lautlos belüftet, mit prächtigen Fischen, die durch ein künstliches Korallenriff glitten.
Joshua küsste seiner Mutter die Stirn. Sie lächelte ihn an und ergriff seine Hand, dann wandte sie sich zu mir mit ihren sanften blauen Augen.
»Das ist Dr. Delaware«, stellte Joshua mich vor.
»Alex«, sagte ich. »Ich freue mich, dass Sie bereit
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