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Boese Maedchen sterben nicht

Boese Maedchen sterben nicht

Titel: Boese Maedchen sterben nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
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in der Luft auf und ab. »Ich muss los. Sie haben einen neuen Handyakku angeschleppt.«
    »Na, dann los! Und danke noch mal«, sagte ich schnell und winkte ihr nach, als sie durch das Glas schwebte und verschwand. Ich wollte wirklich nicht meinem Dad erklären müssen, warum ich an der Westküste war und der Brandstiftung verdächtigt wurde. Aber selbst wenn Grace verhindern konnte, dass sie meinen Dad anriefen, war ihm mit Sicherheit trotzdem nicht entgangen, dass ich noch nicht zu Hause war. Mann, ich hätte nie gedacht, dass diese Vollstreckung in einem solchen Chaos enden würde. Vielleicht hatte Grace ja recht. Vielleicht hatten sie alle recht.
    Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper, ließ mich wieder auf meinen quietschenden Stuhl fallen und warf einen Blick zur Tür. Vielleicht. Aber es fühlte sich einfach nicht richtig an. Barnabas hatte mir mal geraten, auf mein Bauchgefühl zu hören. Und mein Bauch sagte mir, dass die Sache hier noch nicht beendet war. Mein Bauch sagte mir, dass ich die Sache noch retten konnte. Mein Bauch sagte mir … dass ich etwas verändern konnte.
    Ich blickte wieder zur Decke mit den Wasserflecken hoch, die wie trudelnde Wölkchen oder Engel aussahen, und schloss die Augen. Und dass ich ganz schön in Ungnade gefallen bin, dachte ich mit einem Anflug von Selbstmitleid. Die Seraphim waren sauer auf mich. Und, was viel schlimmer war, ich hatte es nicht geschafft, Tammy zu retten.
    Voller Wut versetzte ich dem Schreibtisch des Polizisten einen ordentlichen Fußtritt. Mein Zeh traf mit einem dumpfen Knall auf den dicken Stahl, aber mein Tritt war nicht besonders kräftig gewesen und so passierte nichts - noch nicht mal der Zeh tat mir weh.
    Ich kenne die Resonanz von Tammys Aura. Dann finde ich ihre Zukunft eben allein raus , dachte ich trotzig, doch eine Sekunde später folgte die Erkenntnis, dass ich das höchstwahrscheinlich nicht konnte. Das hieß nicht, dass ich eine Pessimistin war - eher eine Realistin. Aber vielleicht… vielleicht schaffte ich es ja doch, ihre Resonanz zu ändern, damit Demus und Arariel sie nicht fanden. Wenn ich doch bloß mehr Zeit hätte.
    Entschlossen, es wenigstens zu versuchen, blickte ich wieder an die Decke und atmete aus, bis meine Lunge vollkommen leer war. Ich schloss die Augen, bis ich im Geiste eine schimmernde Silberfläche vor mir liegen sah - die Zeit die sich in jeder Richtung bis ins Unendliche erstreckte. Ein Glühen ging von ihr aus, das von den Auren herrührte, die sich auf ihr bewegten - alle Menschen, die in dieser Sekunde existierten. Die Vergangenheit schien wie ein Wasserfall oder ein herabhängender Schleier davon abzugehen. Auch sie leuchtete, aber nicht annähernd mehr so hell wie die Gegenwart. Dies war das Licht, das die kollektiven Erinnerungen von sich gaben. Wenn man zu weit in die Vergangenheit blickte, wurde die Leinwand schwarz bis auf ein paar Leute, bei denen die Menschen beschlossen hatten, sie in Erinnerung zu behalten - silbern leuchtende Triumphe und Katastrophen, die über die Grenzen der Zeit hinweg bestehen blieben. Hier aber, so nah an der Gegenwart, leuchtete das Zeitgewebe in allen möglichen Farben, während die Leben sich berührten, sich miteinander verstrickten und wieder trennten.
    Sich von dem Streifen der Gegenwart aus vorwärtszubewegen, war etwas vollkommen anderes. Dort bildete ein so tiefes Schwarz, dass es kaum noch zu existieren schien, einen verschwommenen Fleck dessen, was sein könnte. Das waren die bewussten Gedanken, die uns von der Gegenwart in die Zukunft voranzogen. An manchen Stellen ragte der Gegenwartsstreifen etwas weiter in die Zukunft hinein, an anderen weniger, so als lebten einige Menschen ein Stückchen weiter in der Zukunft, indem sie sich gedanklich dorthin bewegten. Das waren hauptsächlich Künstler. Lehrer. Kinder. Leute mit Visionen, die etwas bewegen und die Welt um sich herum wachrütteln wollten.
    Doch es war das glühende Band des »Jetzt«, für das ich mich am meisten interessierte. Ich suchte es nach Spuren von Tammy ab. Ich wusste, dass Demus wahrscheinlich auch auf der Suche nach ihr war, und eine Welle von Furcht riss mich fast aus meiner Konzentration. »Ganz ruhig«, flüsterte ich, als auf dem Gang plötzlich Lärm losbrach. Vermutlich stritten die da draußen über mich.
    Das Bild in meinem Kopf wurde klarer und es war, als schwebte ich über dem Teppich aus Licht, als suchte ich nach einem einzelnen Ton in einem ganzen Konzert. Erst in die eine Richtung,

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