Boese Maedchen sterben nicht
blinzelte. »Grace? Was ist hier eigentlich los? Ich fühle mich wie auf einer einsamen Insel.«
»Du bist im Knast, Madison!«, rief der Engel fröhlich. »Die Seraphim sind sauer. Tammy ist so gut wie tot. Und Demus ist wieder auf der Pirsch und sucht nach ihr. Sie ist von zu Hause weggelaufen, genau wie die Seraphim es vorausgesagt haben.«
»Was?« Ich setzte mich gerade hin und machte mir jetzt doppelt so viele Sorgen um Tammy wie vorher. »Ich dachte, sie hätten Demus zurückgepfiffen!«
Die glühende Lichtkugel landete auf meinem Knie und eine sanfte Wärme wie von einem Sonnenstrahl breitete sich in mir aus. »Nein, er ist nur kurz in den Himmel zurückgekehrt, um sicherzugehen, dass er nicht gegen den göttlichen Willen handelt, wenn er tut, was du sagst.«
Ich konnte spüren, wie mein Gesicht sich zu einer hässlichen Grimasse verzog. »Na, lass mich raten, was dabei rausgekommen ist«, bemerkte ich säuerlich. »Wahrscheinlich haben sich all meine Minifortschritte in Luft aufgelöst.« Genauso wie anscheinend Tammys Überlebenswille. Da rette ich sie und Johnny vor dem Feuer und trotzdem lässt Tammy ihre Seele sterben? Was hat dieses Mädchen eigentlich für ein Problem? Kapiert sie denn nicht, wie sehr ihre Mutter und ihr Bruder sie heben?
»Ähm, sie haben Demus befohlen, zurück auf die Erde zu gehen und sie zu sensen. Madison, es sieht nicht gut aus. Er kennt die Resonanz ihrer Aura und er weiß sogar, wie sie aussieht.«
Dank mir.
Grace schwebte nach oben und das Glühen ihrer Flügel bildete einen hellen Fleck in dem ansonsten so schmuddeligen Büro. »Barnabas und Nakita holen dich hier raus«, versuchte sie, mich zu trösten, aber auch das heiterte mich nicht auf. »Madison, vielleicht ist das alles keine so gute Idee«, sagte Grace sanft und mein Herz gab ein Klopfen von sich.
»Nicht du auch noch«, murmelte ich niedergeschlagen. Verdammt, warum glaubte denn niemand, dass es möglich war? Wir hatten es schon einmal geschafft. Und es würde wieder klappen, wenn nur mal jemand daran glauben würde!
»Es ist eben nur so, dass die Seraphim sich furchtbar aufregen!«, erklärte Grace, die nun direkt vor mir schwebte. »Ihr Gesang ist so schrill wie noch nie. Das Echo kann man sogar hier unten noch hören. Sensible Menschen können Visionen davon bekommen. So was hab ich nicht mehr erlebt seit … seit der Renaissance in Italien.« Sie zögerte und glühte etwas heller, als ihr ein Gedanke kam, den sie mir jedoch sorgsam verschwieg.
»Vielleicht hätten die Seraphim sich dann nicht einmischen und Demus schicken sollen«, entgegnete ich und Grace flog erschrocken rückwärts. »Ich versuche, Tammy zu helfen!«, fügte ich beinahe flehend hinzu. »Manche Sachen funktionieren eben nicht so Knall auf Fall! Wenn es ein Jahr dauert, bis eine Seele ihren Lebenswillen verliert, dann dauert es vielleicht auch ein bisschen länger als zwei Stunden, dafür zu sorgen, dass sie ihn wiederfindet. Einen Menschen zu sensen, um seine Seele zu retten, geht so schnell, dass es schon wieder billig ist. Darauf kann man ja wohl kaum stolz sein. Und ich mache doch schon Fortschritte. Hab ich das Schicksal vielleicht nicht so verändert, dass sie immerhin noch am Leben ist? Und ihr Bruder auch. Sie muss jetzt nicht mit dieser Schuld leben. Was soll daran schlecht sein?«
Niemals. Niemals würde mich irgendjemand davon überzeugen, dass es besser gewesen wäre, wenn Tammy und ihr Bruder qualvoll bei dem Brand ums Leben gekommen wären.
»Es war mal ein Mädchen unsterblich, das rettete Menschen gewerblich. Die Seraphim tobten, denn all die erprobten Methoden schienen plötzlich verwerflich.«
»Sehr nett, vielen Dank.« Ich blickte zur Tür, als auf der anderen Seite ein Schatten vorbeiging. »Grace«, flüsterte ich, »ich hab diesen Job nicht ohne Grund bekommen. Vielleicht ja gerade, weil ich etwas verändern will.«
Ihr Glühen wurde etwas schwächer und ich spürte die Kälte, als sich ihre Niedergeschlagenheit im Raum ausbreitete. »Wie sieht nach Meinung der Seraphim denn jetzt Tammys Schicksal aus?«, fragte ich. Es musste einen Weg geben, wie ich das Ganze noch retten konnte.
»Es hat sich nichts geändert.« Ein kurzes Leuchten durchzuckte Grace, dann war sie nicht mehr zu sehen. Sie hatte sich auf den Schreibtisch gesetzt und hielt jetzt die Flügel still. »Erst war der Tod ihres Bruders der Auslöser für ihren seelischen Niedergang. Jetzt ist es ihr Zuhause, das sie bei dem Brand verloren hat.
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