Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Böser Bruder, toter Bruder

Böser Bruder, toter Bruder

Titel: Böser Bruder, toter Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narinder Dhami
Vom Netzwerk:
meinst. Jamie, du machst mir Angst.«
    »Anders geht es nicht, Mia.«
    Mehr sagte Jamie nicht. Und ich wusste, dass etwas Schreckliches, Unvorstellbares geschehen würde und ich nichts dagegen tun konnte.
    Später kroch Mum zu mir ins Bett, zog mich in die Arme, weinte und bat mich um Verzeihung. Aber es war zu spät. Die neue Mia, die Mia, die für kurze Zeit meine Freundin gewesen war und mir so viel versprochen hatte, hatte mich verlassen. Sie war im Dunkel der Nacht aus meinem Leben verschwunden, und ich glaubte nicht, dass sie je zurückkehren würde.
    Ich hatte für nichts mehr Kraft. Ich bekniete Jamie nicht mehr, seine Geheimnisse mit mir zu teilen. Und in der Schule konnte ich die bösartigen Bemerkungen über den verdammten Aufsatz auch nicht mehr mit einem Lachen abtun.
    Ich verteidigte mich nicht einmal gegen Kat Randall, wenn sie mich verspottete. Sie war in dem kleinen Supermarkt gewesen und hatte Mums Tobsuchtsanfall aus nächster Nähe mitverfolgt.
    »Na, wie geht’s deiner Mum heute?« Mit einem selbstgefälligen Lächeln und voller Vorfreude wartete Kat am nächsten Morgen am Schultor auf mich. Sie musste sich extra beeilt haben, um mich quälen zu können, denn sie war berüchtigt dafür, immer zu spät zu kommen.
    »Es war echt der Hammer, wie deine Mum gestern durchgedreht ist«, fuhr Kat fort und musterte mich genau, damit ihr auch ja nichts von meiner Demütigung entging. »Gott, war das peinlich, als sie den Schuh nach dir geworfen hat! Nicht wahr?«
    Das war erst der Anfang von Kats Hetzkampagne gegen mich, und es sah ganz danach aus, als würde sie mich noch die nächsten Jahre foltern.
    Es ist Ironie des Schicksals, dass sich mein Leben für kurze Zeit zum Guten wandelte und ich daraufhin noch tiefer ins Elend stürzte als je zuvo r – und das alles innerhalb weniger Tage.
    Die alte Mia war zurückgekehrt und konnte nur hilflos abwarten, was Jamie tun würde.
    Ich hatte solche Angst. Um Jamie. Um Mum. Und um mich.
    Ich hatte keine Ahnung, wo das alles enden würde.
    Nun weiß ich es.
    Hier in der Schule.
    Mit einer Pistole.

Vierzehn
    Montag, 10. März, 10.03 Uhr
    Ich weiß, dass Jamie in der Nähe ist.
    Unsere telepathische Verbindung lässt mich ausnahmsweise nicht im Stich.
    Oder bilde ich mir das nur ein?
    Während ich auf Zehenspitzen durch den Gang schleiche, spüre ich ein Kribbeln in den Fingerspitzen, mein Herz pocht immer schneller und ich kann Jamie beinah atmen hören.
    Sprich mit mir, Jamie. Wo bist du?
    Angestrengt lausche ich auf seine Antwort, doch in meinem Kopf sind nur meine eigenen Gedanken.
    Ich bin so nah und doch so fern. Ich will den Flur runterrennen und in die Klasse 9 d stürmen, um diese nervenzermürbende Angelegenheit endlich hinter mich zu bringen, aber ich reiße mich zusammen.
    Geduld, Mia.
    Rennen wäre unvernünftig, denn ich kann es nicht riskieren, jemanden in der 9 d – sei es Freund oder Fein d – auf mich aufmerksam zu machen. Nicht bevor mir einfällt, wie ich Jamie klarmachen kann, dass ich Mia bin und kein bewaffneter Polizist.
    Wartet Jamie auf mich?
    Glaubt er, dass ich komme? Er müsste doch auch meine Nähe spüren.
    Und dann durchzuckt mich die Angst wie ein elektrischer Schlag: Wird Jamie überhaupt auf mich hören? Wird er aufgeben, nur weil ich ihn darum bitte?
    Ich weiß es nicht.
    Womöglich macht es gar keinen Unterschied, ob der Amokläufer Jamie oder ein Fremder ist. Dann muss ich, egal wer es ist, am Ende um mein Leben kämpfen. Dennoch setze ich meinen Weg langsam und mit leisen Schritten fort.
    Wie das Hauptgebäude wurde auch der Anbau im Laufe der Jahre aus- und umgebaut, und nun ähnelt er einem Kaninchenbau voller verwinkelter Gänge, einem Labyrinth mit vielen Verstecken.
    Ich stelle mir vor, wie Jamie in der Klasse wartet und sich fragt, wer wohl als Nächstes durch die Tür kommt. Irgendwie muss ich ihm mitteilen, dass ich hier bin, alles andere wäre ein zu großes Risiko, vielleicht mit fatalen Folgen. Auf unsere telepathische Verbindung kann ich mich nicht verlassen, denn sie ist zu schwach und flüchtig, falls sie überhaupt besteht. Ich kann die Tür nicht öffnen, solange ich damit rechnen muss, dass Jamie sofort losballert.
    Ich muss hier wieder rauskommen. Wer soll denn sonst auf Mum aufpassen?
    Leo Jackson?
    Dass ich nicht lache!
    Ich schiebe den Gedanken an meinen Vater beiseite. Sinnlose Emotionen kann ich im Moment nicht gebrauchen. Komisch, dass mir sein Name ausgerechnet jetzt in den Sinn kommt.
    Ich könnte

Weitere Kostenlose Bücher