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Böser Bruder, toter Bruder

Böser Bruder, toter Bruder

Titel: Böser Bruder, toter Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narinder Dhami
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dann kehre ich zur 9 d zurück.
    Denn ich werde erst verschwinden, wenn ich herausgefunden habe, was mit Jamie passiert ist .
    Auf einmal nehme ich aus dem Augenwinkel einen Lichtstreifen wahr. Ich erstarre vor Schreck und meine Eingeweide ziehen sich krampfhaft zusammen. Als ich den Kopf wende, sehe ich, dass sich die Tür zu Miss Walters Büro sehr, sehr langsam öffnet.
    Er kann unmöglich so lange gebraucht haben, um das Zimmer abzusuchen. Er hat mir aufgelauert! Er hat mit mir Katz und Maus gespielt. Er hat meine Schritte gehört, und jetzt macht er sich zum tödlichen Sprung bereit.
    Ich kann mich nirgends verstecken.
    Es sei den n …
    Es gibt eine Fluchtmöglichkeit.
    Rasch und leise klettere ich auf die Brüstung. Ich wage es nicht, in die Tiefe zu schauen, bevor ich mich über das Geländer schwinge.

Siebzehn
    Montag, 10. März, 10.23 Uhr
    Ich hänge in der Luft und halte mich mit aller Kraft unten am Geländer fest. Mit jeder Hand umklammere ich eine Eisenstange. Das Metall ist eiskalt und glatt. Zu glatt. Ich habe Angst, dass meine Finger einfach abrutschen, egal wie fest ich zupacke.
    Die Sonne hat sich wieder hinter eine Wolke verzogen, um mich herum ist es deutlich dunkler geworden. Ich höre leise Schritte, als er sich aus dem Berufsberatungszimmer schleicht. Er hat geglaubt, er hätte mir eine Falle gestellt, und jetzt muss er sich wundern, dass ich verschwunden bin. Dummerweise ermüden meine Arme schnell, und meine bis zum Äußersten gespannten Muskeln und Sehnen beginnen zu schmerzen.
    Instinktiv will ich mit den Füßen strampeln, nach einem Halt suchen, aber ich beherrsche mich. Stattdessen hänge ich kerzengerade herab und rege mich nicht. Ich muss an einen Film denken, den Jamie und ich zusammen gesehen haben. Darin wurde jemand für ein Verbrechen gehenkt, das er nicht begangen hatte. Ich stelle mir vor, tot an einem Baum zu hängen, bis meine Glieder erschlaffen.
    Von dort oben dürften nur meine Hände zu sehen sein, wie sie die Stangen umklammern. Ich kann nur hoffen, dass er nicht auf den Boden schaut und sie entdeckt. Von hier unten kann ich ihn nicht sehen. Solange er nicht ans Geländer tritt und hinunterspäht, werde ich nicht herausfinden, um wen es sich handelt. Die Dunkelheit, die jetzt im Anbau herrscht, macht mir Mut.
    Er bleibt mitten auf der Galerie stehen.
    Und ich hänge buchstäblich in der Luft.
    Nach einiger Zeit, es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, geht er endlich weiter. Ich schließe erleichtert die Augen, wage es nicht einmal aufzuatmen.
    Der Klang seiner Schritte sagt mir, dass er sich langsam in Richtung 9 d bewegt.
    Ich habe das Gefühl, dass sich meine Arme gleich aus den Gelenken lösen. Zum ersten Mal bin ich dankbar dafür, dass ich mager und untergewichtig bin. Nun beginne ich, mit den Beinen zu zappeln. Ich schaukele hin und her und hole Schwung, bis es mir endlich gelingt, eine Fußspitze auf den Rand der Galerie zu bekommen. Keuchend und mit enormer Kraftanstrengung schiebe ich den Fuß zwischen zwei Eisenstangen und ziehe mich am Geländer hoch. Dann plumpse ich auf der anderen Seite wie ein nasser Sack zu Boden. Ich zittere, aber nicht vor Erleichterung, sondern weil zu viel Adrenalin durch meine Adern gepumpt wird.
    »Jetzt bin ich an der Reihe«, murmele ich.
    Einen Augenblick lang bin ich in Hochstimmung, weil er mich reinlegen wollte und ich stattdessen ihn ausgetrickst habe.
    Wir spielen immer noch Katz und Maus. Aber jetzt bin ich die Katze.
    Vielleicht bin ich verrückt, aber ich nehme die Verfolgung auf.
    Und während ich ihm nachrenne, tue ich zwei Dinge.
    Erstens stelle ich die Weckfunktion an meiner Armbanduhr ein. Der Alarm wird in einer Minute losgehen. Zweitens mache ich eine Schlinge aus meiner Schulkrawatte.
    Dann gebe ich Gas. Ich kann nur wenige Sekunden hinter ihm sein. Wenn er wirklich zur 9 d zurückgeht, müsste ich ihn nach der nächsten Ecke sehen können.
    Nur noch zwanzig Sekunden, bis der Alarm an meiner Uhr losgeht.
    Ich habe mir den Plan, wie ich ihn fangen werde, genau zurechtgelegt, als ich eben am Geländer hing. Ich stürme in den Klassenraum einer Achten und lege dort meine Uhr aufs Lehrerpult. Dann schieße ich wieder hinaus, rase ins Labor gegenüber und verstecke mich hinter der Tür.
    Fünf, vier, drei, zwei, eins.
    Drüben beginnt meine Uhr zu piepen, was in dem stillen Gebäude unheimlich laut und blechern klingt.
    Augenblicklich kommt er zurückgerannt.
    Oh Gott! Mir war nicht klar, wie dicht ich hinter ihm war.

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