Böser Engel
und warf sie Fon Pyre zu. »Zerbrich sie so, dass ich ihn damit abstechen kann.«
»Zu Befehl, Meister«, sagte er und bearbeitete die Flasche mit seinen spitzen Krallen. Binnen weniger Sekunden hatte er das Glas in die Form einer todbringenden Klinge gebracht.
»Cool«, raunte ich. »Jetzt gib sie mir zurück. Vorsichtig«, schob ich hastig nach. »Mit dem Griff voran.«
Als Fon Pyre mir die Waffe überreichte, bemerkte ich einen seltsamen Ausdruck auf seinem Gesicht, den ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Er wirkte beunruhigt, beinahe …
»Hast du etwa Angst?«, fragte ich ungläubig. Bis jetzt war mir nie in den Sinn gekommen, dass Dämonen zu solchen Gefühlen fähig sein könnten. Aber vor mir stand der eindeutige Beweis.
»Ja«, antwortete Fon Pyre, ohne mich anzuschauen.
»Weshalb?«, fragte ich und stellte mich vor ihn. »Du bist schließlich ein Dämon! Du bist … na ja, mit Superkräften ausgestattet. Der Einzige, der dir etwas anhaben kann, bist du selbst.«
»Das stimmt nicht«, erwiderte Fon Pyre. »Ich bin eine lebendige Kreatur, und mein Körper kann sehr wohl Schmerz empfinden. Aber Engel sind zu weitaus Schlimmerem fähig.«
»Verstehe«, murmelte ich. »Hätte ich mir gleich denken können. Aber wir haben es hier mit einem gefallenen Engel zu tun und nicht mit einem richtigen, Fon Pyre.«
»Das spielt keine Rolle«, gab er zurück. »Selbst wenn er gefallen ist, hat ein Engel immer noch genügend Kraft, um die Seele eines Dämons zu zerstören.«
»Dämonen haben Seelen?«
»Natürlich! Was denkst du denn?« Fon Pyre fletschte die Zähne. »Und ich möchte meine gerne noch ein wenig behalten. Bitte zwing mich nicht, mitzukommen.«
»Mir bleibt nichts anderes übrig«, entgegnete ich. »Das ist die einzige Möglichkeit, den Engel zu töten. Anderenfalls wäre ich gezwungen, den Rest meines Lebens im Keller des Eisenwarenladens zu verbringen.«
»Bitte«, sagte Fon Pyre flehend.
Ich traute meinen Ohren nicht. Noch nie zuvor hatte ich dieses Wort aus seinem Mund gehört. Ein prüfender Blick in seine Augen verriet mir, dass er die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sprach. Einen Augenblick lang war ich tatsächlich gerührt.
Aber eben nur einen Augenblick lang. Dann rief ich mir in Erinnerung, wie Fon Pyre in Wirklichkeit war. Wären unsere Rollen vertauscht, hätte Fon Pyre nicht mit der Wimper gezuckt und mich geopfert – mitsamt meiner Seele.
Und dann war da noch die Sache mit dem Hass: Der würde seinen Höchststand erreichen, wenn am Freitag die Jugendgruppe aus Wernsbridge nach Ice Lake kam. Und wenn der Hass der Gastgeber sich mit dem der Gäste verband, würde den Dämonen dadurch das Tor zu unserer Welt geöffnet. Und dann gäbe es … Wie hatte Fon Pyre es doch gleich ausgedrückt?
Ach ja.
Eine echte Party.
»Tut mir leid«, erklärte ich schließlich. »Du wirst nicht darum herumkommen.«
»Du opferst also kaltlächelnd meine Seele, damit du ein schönes Leben hast?«, meinte Fon Pyre. »Und schreckst nicht einmal vor einem Mord zurück? Was für ein Christ bist du eigentlich?«
»Ich habe nie behauptet, einer zu sein«, entgegnete ich.
»Nein, du hast dich schon immer für etwas Besseres gehalten«, sagte Fon Pyre. »Hast mich nur gerufen, um allen zu beweisen, dass sie sich irren; damit du mit stolzgeschwellter Brust an ihnen vorbeischreiten kannst.«
»Das stimmt doch gar nicht!«, stieß ich wütend hervor. »Das mache ich nur, damit die Wahrheit ans Licht kommt.«
»Und zufällig ist die Wahrheit immer das Gegenteil davon, was sie dich gelehrt haben«, schoss Fon Pyre zurück.
»Na ja, wenn uns etwas Falsches beigebracht wird, dann …«
»Hört, hört. Und du bist der Auserwählte, der den Leuten erzählt, wie es wirklich ist?«
»Ich … Nun ja, noch habe ich nichts in der Richtung unternommen.«
»Siehst du?«
»Aber ich wollte es!«, verteidigte ich mich. »Ich habe einen Film gedreht, schon vergessen? Und den hätte ich der Welt präsentiert, sobald ich ihn fertiggemacht hätte.«
»Wieso machst du ihn dann nicht fertig?«
»Ich … habe meine Gründe«, gab ich ausweichend zurück, weil ich keine Lust hatte, Fon Pyre zu berichten, was mit dem Film geschehen war. Er würde mich ohnehin nur auslachen, und das war mehr, als ich im Moment ertragen konnte.
»Lass die Leute den ganzen Quatsch aus diesem alten Märchenbuch doch glauben«, sagte er. »Immerhin macht es sie glücklich. Außerdem vermittelt der alte Schinken ihnen moralische
Weitere Kostenlose Bücher