Böser Engel
mir, Chester nicht.
Erst drei Straßen später ging mir auf, dass ich gar nicht wusste, wohin wir liefen. Tja, das ist das Problem beim dramatischen Abgang: Man stürmt überraschend los, obwohl man keine Ahnung hat, wohin man eigentlich will.
»Okay, Fon Pyre«, keuchte ich, als ich an der nächsten Kreuzung stehen blieb. »Wo ist der Engel?«
»Da lang«, antwortete er glucksend und deutete in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
»Das hättest du mir ruhig früher sagen können«, brummte ich.
»Das hätte ich, stimmt«, erwiderte er. »Aber du hast mich ja nicht gefragt.«
»Du kannst mich wirklich nicht besonders gut leiden, oder?«
»Ja«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Ich warte nur darauf, dass du etwas Falsches sagst, und dann … wusch!« Er untermalte seine Worte, indem er sich die Hand vor das Gesicht hielt und wie ein Verrückter mit den Krallen herumfuchtelte. Vermutlich, um anzudeuten, dass er mir einen Mixstab ins Gesicht halten würde. Oder etwas ähnlich Grausames.
»Das ist nicht sonderlich nett«, merkte ich an. »Fon Pyre, gib dir eine Ohrfeige. Fest.«
Der Dämon hob die Hand – dieselbe, mit der er seinem »wusch« Nachdruck verliehen hatte – und schlug sich auf die Wange. Fest.
»Komm schon!«, sagte ich. »Das kannst du besser. Schlag dich noch fester.«
Fon Pyres Blick versprühte puren Hass. Doch dann schlug er so kraftvoll zu, dass es ihn von den Füßen riss.
»Nicht schlecht«, entgegnete ich. »Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass du noch nicht alles gegeben hast. Los, Fon Pyre, verletz dich selbst!«
Dieses Mal schlug der Dämon so heftig zu, dass er gegen eine Hauswand flog und ein Loch in den Putz riss.
»Genau so habe ich es gemeint«, sagte ich zufrieden. »Und jetzt führst du mich auf direktem Weg zu unserem Engel.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl, Meister«, gab Fon Pyre mit gespielter Demut zurück und klopfte sich den Schmutz vom Fell.
Die nächsten Minuten liefen wir schweigend nebeneinanderher. Währenddessen rieb Fon Pyre sich die scheinbar schmerzende Wange, aber das war mir einerlei. Ich hatte kein schlechtes Gewissen wegen der Ohrfeige. Warum auch? Das war nichts im Vergleich zu dem, was er mir angetan hätte. Das hatte er mir ja mehr als einmal klargemacht.
»Wie willst du Brightly eigentlich abmurksen?«, durchbrach Fon Pyre die Stille. »Vergiss nicht, er kann deinen Verstand lenken und deine Gedanken lesen. Du kannst dich ihm alleine nicht einmal nähern, ohne dass er es merkt.«
Ich denke, ich kann von mir behaupten, dass ich nicht auf den Kopf gefallen bin und mir auch Zwischentöne nicht entgehen. Das war in diesem Moment mein Glück – denn freiwillig wäre Fon Pyre nie mit Informationen herausgerückt. Das passierte ihm sonst nur, wenn er sich in Rage redete und sich darüber ausließ, wie dumm die Menschen waren.
»Mit anderen Worten, ich kann mich nicht anschleichen … alleine?«, fragte ich.
Fon Pyres Gesichtsausdruck und seine geballten Fäuste sprachen Bände. Das Wörtchen »alleine« hatte ihn verraten. Er hatte anscheinend gehofft, dass ich es überhört hätte.
»Bei entsprechender Hilfe, sagen wir von einem Dämon«, fuhr ich genüsslich fort, »könnte ich mich jedoch gefahrlos anschleichen, solange er schläft. Stimmt’s, oder habe ich recht?«
»Teils, teils«, erwiderte er, woraufhin ich ihm befahl, seine Andeutung auszuführen. »Engel können Dämonen spüren und umgekehrt. Wenn du jedoch nahe genug neben mir bleibst, überdeckt meine Präsenz die deine.«
»Interessant«, bemerkte ich. »Kann deine Anwesenheit für mich sonst noch irgendwie von Vorteil sein?« Ich fragte aus dem undeutlichen Gefühl heraus, dass womöglich noch mehr dahinterstecken könnte. Wie sich jedoch herausstellte, war es eine brillante Frage.
»Ja«, antwortete er. Wieder musste ich ausdrücklich von ihm verlangen, ins Detail zu gehen. »Bis auf zwei Meter Abstand kann ich seine Macht abwehren. So ist das bei uns Dämonen. Wir erzeugen um uns ein Energiefeld, das die mentalen Kräfte von Engeln abblockt. Deswegen sind wir ihnen auch ein Dorn im Auge und stellen eine große Bedrohung dar.«
»Perfekt!«, jubelte ich. »Dann gehen wir zusammen rein. Du lenkst ihn ab, und ich stürze mich auf ihn.« Ich sah mich kurz um und entdeckte eine Bierflasche auf dem Bürgersteig. »Perfekt«, sagte ich, als ich die Flasche aufhob. »Damit ziehe ich ihm eins über. Oder noch besser, ich werde ihn erstechen. Fang mal«, meinte ich
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