Böser Engel
automatischen Waffen, mit Sprengstoff sowie mit Einbrüchen und Raub nachweisen können. Während einer sechsmonatigen Probezeit prüfte das Charter, das die Erweiterung plante – meist Oakland –, ob der neue Ableger die Bedingungen erfüllte. Wie groß die Entfernung auch war – zumindest die Führungskräfte mussten uns regelmäßig besuchen, und wir schickten ebenfalls eine Delegation zu ihnen. Wenn wir mit ihnen zufrieden waren, bekamen sie ihre Aufnäher. Allerdings war es einem neuen Charter streng verboten, ohne Erlaubnis im Territorium eines anderen Drogen zu verkaufen.
Mitte der 60er-Jahre, als man uns als überlebensgroße Volkshelden betrachtete, wussten selbst bei der Polizei nur wenige über unsere neuen geschäftlichen Aktivitäten Bescheid. Aber die Biker-Gerüchteküche verbreitete die Nachricht, dass man in San Francisco und Umgebung das große Geld verdienen konnte, und wir wurden mit Aufnahmeanträgen von Einzelpersonen und Clubs überschwemmt.
Im Jahr 1966 ließ sich der Club als Aktiengesellschaft registrieren und bekam die Erlaubnis, 500 Aktien zu verkaufen. 22 Zu dieser Zeit gab es in Kalifornien zehn, in anderen Bundesstaaten acht und im Ausland drei Charter. Die kalifornischen Charter waren Oakland (rund 45 aktive Mitglieder), San Francisco (30), San Jose (15–20), Daly City (18), das Nomaden-Charter (20), aus dem später das Charter Vallejo wurde, Richmond (15), das Sonoma-Charter in Novato, Marin County in San Rafael sowie im Süden Berdoo (44) und eine etwas kleinere Gruppe in San Diego. Weitere Charter gab es in Omaha, Minneapolis, Cleveland, Buffalo, Rochester und New York City sowie in Salem und Lowell in Massachusetts. Jenseits des Atlantiks gründete der Club Charter in der Schweiz, in England und in Westdeutschland. Die Zahl der Mitglieder stieg Ende der 60er-Jahre auf insgesamt über 500, davon 250 bis 300 in Kalifornien.
Unser Charter wurde mit Transferwünschen von Angels überhäuft, die in der Wall Street der Outlaw-Biker arbeiten wollten. Um einige Charter vor Überbevölkerung und andere vor Abwanderung zu schützen, erließen wir allgemeingültige Regeln für den Charterwechsel. Ein Angel musste mindestens vier Tage pro Woche in der Umgebung des neuen Charters wohnen, alle Clubrechnungen bezahlt haben, ein Transferformular vorweisen können, das sein bisheriger Charter-Präsident unterschrieben hatte, alle Geschäfte mit dem alten Charter abbrechen, die Aufnäher ändern und in seiner neuen Wohnung ein Telefon installieren lassen. Nach einer Diskussion über den gewünschten Wechsel stimmte der Club ab, wobei zwei Neinstimmen für eine Ablehnung genügten. In Oakland war die Prozedur etwas anders: Vor der endgültigen Entscheidung durchleuchtete Sonny die zahlreichen Kandidaten.
Je mehr Außenseiter wir anlockten und aufnahmen, desto weniger war unser Charter eine Bruderschaft aus Oaklandern. Es blieb uns nichts anderes übrig, als die strengen Regeln zu lockern und spontaner zu planen. Neue kriminelle Aktivitäten führten zu einer mafiaähnlichen Organisationsstruktur.
Von unseren berüchtigten Initiationsriten behielten wir nur wenig bei, aber wir sorgten auf andere Weise dafür, dass wir nicht unterwandert wurden. Da die Initiationen überall unterschiedlich verliefen, kann ich nicht für andere Charter sprechen. In Oakland jedenfalls hielten wir es für unsinnig, einem künftigen Bruder Eimer voller Urin und Kot über den Kopf zu schütten oder seine Kutte damit zu beschmieren. Dennoch gab es ein paar Überreste der alten Rituale. Manchmal zeigte ein Anwärter Format, indem er vor den Clubmitgliedern eine Frau oral befriedigte und sich so seine roten Flügel verdiente. Einige Bewerber brachten eine willige Braut für die anderen mit, um sich ein paar Wählerstimmen zu sichern. Meist vergewisserten wir uns jedoch auf unsere Art davon, dass ein Anwärter kein verdeckter Ermittler war: Wir brachten ihn dazu, mindestens eine Straftat zu begehen, während er mehrere Monate oder Jahre mit uns herumfuhr. Wir prüften die Bewerber gründlich. Um festzustellen, ob sie Mumm hatten, ließen wir sie oft gegen andere Anwärter und Mitglieder antreten – und erwarteten, dass sie gewannen. Außerdem achteten wir darauf, dass sie drogen- und trinkfest waren, und manchmal mussten sie für uns Drogen verkaufen oder ausliefern. Manche Mitglieder wollten nichts mit Anwärtern zu tun haben, während andere, zum Beispiel Okie und Zorro, sie wie Sklaven behandelten. Anwärter
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