Böser Engel
prüfen konnte. Manche wurden auch fotografiert. Womöglich erhielten ein oder zwei Mitglieder eine Vorladung wegen ihrer Motorräder, aber wir ließen das alles über uns ergehen und fluchten höchstens darüber. Schließlich lag ein Wochenende vor uns.
Wenn wir das Lager aufschlugen, wurde deutlich, dass die meisten Biker mit leichtem Gepäck reisten – ein schwerer Mantel oder ein Schlafsack genügte ihnen –, während einige andere mit ihrem Wohlstand prahlten und ihre Freundin mit einem Kleinlaster oder Lieferwagen vorfahren ließen. Tramp brachte ein ganzes Landschloss mit: einen VW-Bus mit Schutzdach und Gartenmöbeln. Andere, darunter auch ich, hatten Wohnmobile oder Lieferwagen mit Stereoanlage. Manche Jungs befestigten Planen und Fallschirme zwischen Bäumen, als der Proviant abgeladen wurde. Wenn nicht genug Holz herumlag, knallten wir mit automatischen Waffen ein paar Äste ab.
Sobald unser rituelles Lagerfeuer brannte, begann die Party. Spontaneität war gefragt. Alles konnte passieren, und das war ein wenig furchterregend. Manche Jungs spielten Karten bei Bier oder Haschisch, einige rauften oder pinkelten zum Spaß auf die Motorräder anderer. Manchmal fuhr einer an einen Baum.
Einige wagten sich ins Wasser, bisweilen vollständig bekleidet. Sie veranstalteten Wettbewerbe im Frauenweitwurf oder stakten behelfsmäßige Flöße herum.
Anwärter mussten gegeneinander antreten. Hunde wurden mit Rufen wie »Kill! Kill! Kill!« in blutige Kämpfe gehetzt. Ciscos Affe taumelte mitunter herum wie der Rest von uns, dicht bis unters Dach, und es gab dröhnend laute Rockmusik, donnernde Motoren und gelegentlich Schießereien.
Wenn es dunkel wurde, schürten wir die Lagerfeuer und tranken weiter. Vorher wurden die Waffen gemäß den Clubregeln verstaut. Das Essen brieten wir über offenem Feuer oder auf Grills. Meist handelte es sich um die übliche Picknickverpflegung: Steaks, Hotdogs, Hamburger und Hähnchen, einmal sogar ein gestohlenes Kalb (es bekam eine kurze Schonfrist und schloss viele Freundschaften, während es an einen Baum gebunden war, doch als wir wieder in Oakland waren, ging es den Weg allen Rindfleisches).
Wenn wir erschöpft waren, behalfen sich einige Jungs mit Amphetaminen und kehrten dann zum Gelage zurück. Andere pennten im Auto, unter Büschen oder dort, wo sie umfielen. Erstaunlich viele feierten das ganze Wochenende durch.
Auf unseren öffentlichen Partys trieben sich Journalisten und Filmleute herum und hofften, eine Neuinszenierung von Der Wilde zu erleben. Sie suchten nach einer Antwort auf die Frage: Wie sind die Hells Angels wirklich? Die meisten Reporter und Fotografen erledigten ihre Arbeit aus sicherer Entfernung, nämlich dort, wo sich die Polizei bereithielt. Wer sich zu uns gesellte, wurde oft unfreiwilliger oder unwissentlicher Teilnehmer. Manchen banden wir einfach Bären auf.
Einmal schloss sich uns der Gastgeber einer landesweit bekannten Tanzshow für Teenager an. Wir hatten uns bei Half Moon Bay südlich von San Francisco am Strand versammelt. Nachdem wir den Spirituosenladen der Stadt und die Kuchentheke einer Wohltätigkeitsveranstaltung leergekauft hatten, schlugen wir ein Lager auf, das wir aus gutem Grund »Stolperbucht« nannten, denn bevor das Fernsehteam seine Technik aufgebaut hatte, liefen oder torkelten etwa hundert Angels auf dem Gelände herum und tranken, schmissen Drogen ein, plauderten, tanzten zur Musik aus den Autoradios oder spielten mit Bierdosen Fangen.
Es war Helens erster richtiger Run. Darum half sie mir, eine »Drogerie« zu eröffnen. Mit prall gefüllten Taschen an einen Baum gelehnt, verteilte ich LSD und andere Rauschmittel an die Partygäste. Wenn meine Kunden kein Geld hatten, gab ich ihnen Kredit. Das war meine Vorstellung von einer großen Party: mich mit meinen Freunden zudröhnen und eine Menge Geld verdienen.
Als die Sonne hinter den Bäumen versank, wurde aus dem Picknick ein wüstes Treiben. Füße stampften, Bräute wurden umgelegt, und die Musik dröhnte. Mickey und Marsi, Tramps Frau, folgten dem Fernsehteam, stellten ihre Reize zur Schau und rauchten dabei Marihuana. »He, Mann, ich spiel für dich die Hauptrolle«, sagten sie neckisch. »Komm her, Baby.« Und wenn unsere Gäste höflich ablehnten, lockte Mickey sie: »Was ist los? Gefallen wir euch nicht?« Ich schätze, die Männer wussten, was ihnen blühte, wenn sie auf das Angebot eingingen, aber eine Zurückweisung galt als überheblich und war deshalb noch
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