Böser kleiner Junge (German Edition)
wimmelt.
Ich schlug ihr vor, sich eine neue Telefonnummer geben zu lassen. Aber der Junge fand auch diese heraus und rief wieder an, sagte ihr, dass mein Vater die Stiefel an seinen Füßen einfach vergessen habe und dass die Sohlennägel Funken geschlagen hätten und Schicht im Schacht.
Das wäre alles nicht passiert, wenn du dumme schwarze Schlampe ihm nicht die Stiefel geschenkt hättest. Solche Sachen warf er ihr an den Kopf. Wahrscheinlich noch schlimmere Dinge, aber die verschwieg sie mir.
Schließlich warf sie den Apparat einfach weg. Aber du brauchst doch ein Telefon, sagte ich, wo du doch allein lebst. Sie wollte nichts davon hören. Georgie, hin und wieder ruft er mitten in der Nacht an, sagte sie. Du machst dir keine Vorstellung, wie das ist, wenn ich wach liege und das Klingeln höre und weiß, dass es dieser Junge ist. Ich will mir gar nicht ausmalen, was das für Eltern sind, die ihm so was erlauben.
Dann steck es nur nachts aus, sagte ich.
Habe ich ja, sagte sie. Aber manchmal klingelt es trotzdem.
Ich sagte, das bilde sie sich nur ein, und versuchte, mir das ebenfalls einzureden. Erfolglos, Mr. Bradley. Wenn der böse kleine Junge an Marlees Steve-Austin-Lunchbox gelangen konnte und wusste, dass Vicky das Vorsprechen vermasselt und mein Vater die Trailman Specials geschenkt bekommen hatte – wenn er Jahr für Jahr um keinen Tag alterte –, dann konnte er gewiss auch ein Telefon klingeln lassen, das ausgesteckt war. In der Bibel steht, dem Teufel stehe es frei, auf Erden zu wandeln, und Gottes Hand werde ihm nicht Einhalt gebieten. Ich weiß nicht, ob der böse kleine Junge der Teufel war, aber ein Teufel war er ganz bestimmt.
Genauso wenig weiß ich, ob ein Notarzt Mama Nonie hätte retten können. Ich weiß nur, dass sie den Notruf nicht wählen konnte, als sie den Herzanfall bekam, weil sie ja kein Telefon hatte. Sie starb allein in ihrer Küche. Eine Nachbarin fand sie am nächsten Tag.
Carla und ich gingen zur Beerdigung, und nachdem wir Nonie zur letzten Ruhe gebettet hatten, verbrachten wir die Nacht in dem Haus, das sie mit meinem Vater geteilt hatte. Ich erwachte kurz vor der Morgendämmerung aus einem Albtraum und konnte nicht mehr einschlafen. Als ich hörte, wie die Zeitung auf die Veranda geworfen wurde, stand ich auf, um sie zu holen. Da sah ich, dass das Fähnchen am Briefkasten hochgeklappt war. Ich ging in Morgenmantel und Pantoffeln die Einfahrt hinunter und öffnete ihn. Darin lag eine Mütze mit einem Plastikpropeller. Ich holte sie heraus. Sie war warm, so als hätte derjenige, der sie eben noch getragen hatte, hohes Fieber gehabt. Allein sie zu berühren widerte mich an, aber ich drehte sie trotzdem um und sah hinein. Die Innenseite war von irgendeiner Pomade fettig, und ein paar orangefarbene Haare klebten darin. Außerdem entdeckte ich einen Zettel mit einer Nachricht, geschrieben in einer Kinderschrift – schiefe, abfallende Druckbuchstaben. KANNST DU BEHALTEN, ICH HAB NOCH EINE , stand darauf.
Ich nahm die gottverdammte Mütze mit ins Haus – ich hielt sie vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, um so wenig wie möglich mit ihr in Kontakt zu kommen –, und stopfte sie in den Holzofen in der Küche. Dann zündete ich ein Streichholz an, hielt es dagegen, und wusch, das Ding brannte sofort lichterloh, mit grünlich leuchtenden Flammen. Als Carla eine halbe Stunde später in die Küche kam, schnupperte sie und sagte: Was stinkt denn hier so? Wie Brackwasser!
Ich behauptete, dass der Abwassertank hinter dem Haus voll sei und leer gepumpt werden müsse, aber ich wusste es natürlich besser. Es stank nach Grubengas – vermutlich das Letzte, was mein Vater gerochen hatte, bevor irgendetwas Funken geschlagen und ihn und diese beiden anderen Männer ins Jenseits befördert hatte.
Mittlerweile arbeitete ich bei einer unabhängigen Steuerberatungsgesellschaft – einer der größten im Mittleren Westen – und stieg relativ zügig die Karriereleiter hinauf. Das geschieht unweigerlich, wenn man früh kommt, spät Feierabend macht und in der Zeit dazwischen die Augen offen hält. Carla und ich wollten Kinder, wir konnten sie uns auch leisten, aber es sollte nicht sein; die rote Tante kam jeden Monat mit schöner Regelmäßigkeit zu Besuch. Wir gingen zu einem Frauenarzt in Topeka und ließen die üblichen Untersuchungen durchführen. Er konnte nichts finden und sagte, es sei zu früh für eine medizinische Behandlung. Wir sollten nach Hause fahren, uns entspannen und
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