Böser kleiner Junge (German Edition)
Beziehung zu diesem Fall steht. Der religiöse Kram interessierte mich nicht, dafür war Father Patrick zuständig. Meine Aufgabe war es, die Baseball- und Footballmannschaften zu trainieren. Ich nahm an jedem Grillfest und jedem Zeltlager teil. Da ich einen Personenbeförderungsschein besitze, durfte ich die Jungs mit dem kircheneigenen Bus zu Schwimmwettkämpfen, in den Freizeitpark und ins Ferienlager fahren. Und ich hatte immer eine Waffe bei mir. Den .45er, den ich mir bei Wise Pawn and Loan gekauft habe – Sie wissen schon, Beweisstück A der Anklage. Diese Waffe war fünf Jahre lang mein ständiger Begleiter, entweder im Handschuhfach meines Autos oder im Werkzeugkasten vom ConQuest-Bus. Wenn ich die Jungs trainierte, steckte sie in meiner Sporttasche.
Carla gefiel mein Engagement bei ConQuest immer weniger, da ich den Großteil meiner Freizeit dafür opferte. Wenn Father Patrick einen Freiwilligen suchte, war ich jedes Mal der Erste, der die Hand hob. Wahrscheinlich war sie eifersüchtig. Du bist am Wochenende nie zu Hause, sagte sie. Stehst du etwa auf diese kleinen Jungs?
Diesen Eindruck hätte man durchaus gewinnen können, ich machte es mir nämlich zur Gewohnheit, bestimmte Jungen herauszupicken und ihnen meine ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Freundschaft mit ihnen zu schließen, ihnen zu helfen. Das war ziemlich einfach. Viele der Jungen kamen aus armen Familien. Ihre Mütter waren meistens alleinerziehend und mussten in einem Billigjob malochen, damit etwas zu essen auf den Tisch kam. Wenn sie ein Auto besaßen, brauchten sie es, um zur Arbeit zu fahren. Deshalb holte ich meinen jeweiligen Schützling persönlich von zu Hause ab, um ihn zu den ConQuest-Treffen am Donnerstagabend zu bringen, und fuhr ihn anschließend wieder nach Hause. War das nicht möglich, schenkte ich ihm Busfahrkarten. Aber nie Geld – ich hatte schon früh die Erfahrung gemacht, dass es verkehrt war, diesen Jungs Geld in die Hand zu drücken.
Ich konnte sogar kleine Erfolge feiern. Einer der Jungen – ich glaube, er besaß lediglich zwei Hosen und drei Hemden – war ein Mathegenie gewesen. Ich besorgte ihm ein Stipendium an einer Privatschule. Inzwischen studiert er im ersten Semester an der Kansas State. Mit einem Vollstipendium. Ein paar andere nahmen Drogen, und ich habe es geschafft, mindestens einen davon abzubringen. Ein weiterer haute nach einem Streit mit seiner Mutter ab und rief mich einen Monat später aus Omaha an – genau zu dem Zeitpunkt, an dem seine Mutter sich damit abfinden wollte, dass er entweder tot oder auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Ich fuhr los und brachte ihn zurück.
Die Arbeit mit den Jungen bei ConQuest gab mir die Möglichkeit, Gutes zu tun. Jedenfalls mehr als mit dem Ausfüllen von Steuererklärungen oder der Gründung von Briefkastenfirmen in Delaware, möchte ich meinen. Das war jedoch nicht der Grund für mein Engagement, Mr. Bradley. Manchmal nahm ich einen meiner Lieblingsjungen mit zum Angeln an den Dixon Creek oder an den Fluss drüben an der unteren Stadtbrücke. Ich warf ebenfalls meine Leine aus, allerdings nicht, um Forellen oder Karpfen zu fangen. Lange Zeit habe ich nicht den kleinsten Zupfer an meiner Leine gespürt. Bis Ronald Gibson auf der Bildfläche erschien.
Ronnie war fünfzehn, sah aber jünger aus. Er war auf einem Auge blind, sodass Baseball oder Football für ihn nicht infrage kamen. Dafür war er ein begabter Schachspieler und beherrschte auch alle anderen Brettspiele, die die Jungen bei schlechtem Wetter spielten. Niemand piesackte ihn. Er war so etwas wie das Gruppenmaskottchen. Sein Erzeuger war abgehauen, als er ungefähr neun Jahre alt gewesen war, und er sehnte sich nach einer Vaterfigur. Es dauerte nicht lange, bis er mir alle seine Probleme anvertraute. Das größte war natürlich sein schlechtes Auge. Es handelte sich um einen Geburtsfehler namens Keratokonus – eine Missbildung der Hornhaut. Ein Arzt hatte seiner Mutter erklärt, dass man das mit einer Hornhauttransplantation wieder beheben könne. Diese Operation war allerdings so teuer, dass nicht einmal im Traum daran zu denken war.
Ich beriet mich mit Father Patrick, und gemeinsam riefen wir eine Spendenaktion namens Freie Sicht für Ronnie ins Leben. Wir schafften es sogar ins Fernsehen – in die Lokalnachrichten auf Channel 4. Eine Einstellung zeigte Ronnie und mich, wie wir Arm in Arm durch den Barnum Park schlenderten. Als Carla das sah, rümpfte sie die Nase. Kann ja sein,
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