Boeser Traum
steht. Sie hatten nicht über den Expartner gelästert, die Kinder n icht über den anderen ausgefragt. Sie hatten wichtige En tscheidungen gemeinsam getroffen. Das alles half Emilia überhaupt nicht. Ihr Vater war weg. Ja, auch Sophie war traurig gewesen. Aber anders traurig. Sie hatte bedeutende Dinge immer schon lieber mit der Mutter besprochen. Und eigentlich hatte Sophie bereits in der Grundschule beschlossen, dass sie niemanden braucht und ihr Leben nach ihrem ganz eigenen Plan lebt.
Emilia dagegen war ein richtiges Vater-Kind gewesen. Wenn er abends von der Arbeit nach Hause kam, hatte sie ihn stürmisch begrüÃt. Sie war sonntags morgens zu ihm ins Bett gekrochen, hatte ihre Wange an seinem stoppeligen Kinn gerieben. Sie liebte es, ihm zuzusehen, wenn er sich rasierte. Sie half ihm beim Reifenwechseln. Assistierte ihm bei Reparaturen im Haus.
»Wir passen einfach nicht zusammen.« Als ihre Eltern diesen Satz sagten, hatte alles in Emilia geschrien.
Frau Stein lacht. »WeiÃt du noch, als du Windpocken hattest und dein Vater sich auch rote Punkte ins Gesicht gemalt hat? Als er dann einkaufen gegangen ist, hatte er das total vergessen und sich über die Leute gewundert, die ihn alle so komisch anstarrten«, erinnert sich die alte Dame.
Emilia grinst. Das hatte sie wirklich schon fast vergessen. Eigentlich würde sie ihren Vater schon ganz gerne besuchen in den Ferien. Aber sie weià genau, wie sie sich danach fühlen würde. Es wäre wieder eine Trennung, sie würde wieder in dieses Fass von Trauer fallen und Tage brauchen, um da wieder rauszukommen.
Sie steht ziemlich abrupt auf. »Ist es schon so spät? Ich muss hoch.«
Frau Stein nickt. Sie weiÃ, Emilia hat jetzt wieder ihren Papa-Akku aufgeladen.
Oben wird sie von Sophie mit »Da ist ja unsere SpaÃbremse« empfangen. Sie überlegt kurz, im Internet mal zu recherchieren, welche Strafe auf Schwesternmord im Affekt steht und ob es das vielleicht nicht wert wäre.
Nachdem Emilia so abrupt aufgebrochen ist, hat Charlotta kurz überlegt, ob sie sich nicht doch noch auf die Suche nach Mats machen soll. Aber das fühlt sich für sie wie ein Verrat an der Freundin an. Sie geht auf ihr Zimmer und übt ihre Version des Ãberfalls und der Entführung. Emilia soll nicht noch mal mit ihr meckern müssen. Um kurz vor sechs geht sie ins Bad, klatscht sich kaltes Wasser ins Gesicht. Sie muss jetzt sehr wach sein. Sie schnappt sich ihre groÃe Sporttasche und will gerade los, als sie ihrer Mutter in die Arme läuft. »Wo willst du denn noch hin? Was ist in der Tasche?«
»Ich habe die Trikots in der Halle vergessen. Ich habe versprochen, dass ich sie wasche«, lügt Charlotta blitzschnell.
Claudine Brandt nickt. »Das ist ja nett von dir. Bis später.«
Sie haucht ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange und schaut ihr nach. Sie ist so froh, dass Charlotta sich offenbar endlich mit dem Internat arrangiert hat. Sie ist überzeugt, dass sie sich wohlfühlen wird. Neue Freundinnen finden wird. Ein bisschen Selbstbewusstsein tanken wird, was ihr in Emilias Nähe offensichtlich schwerfällt. Es wird ihr guttun, etwas Abstand von Emilia zu bekommen.
Irgendwo hat Charlotta mal eine Dokumentation über Diebstähle und Ãhnliches gesehen. Sie erinnert sich daran, dass die dreistesten Diebe die erfolgreichsten waren. Und deswegen huscht sie nicht in die Sporthalle und hofft, dass niemand sie sieht. Sie geht langsam und wie selbstverständlich in den Sanitätsraum, packt in aller Seelenruhe zwei dicke Decken ein, schwingt die Sporttasche auf den Rücken und geht wieder zu ihrem Rad. Wer jetzt dicht vor ihr stünde, könnte das Herz an der Halsschlagader klopfen sehen.
Du gehst nie
E milia wirft sich mit einer knisternden Tüte voller Croissants auf Charlottas Bett. Die tut so, als schliefe sie immer noch.
»SüÃe, es ist halb zehn. Die Sonne scheint, und wenn du jetzt nicht sofort die Augen aufmachst, esse ich dein Frühstück auf.«
Noch mit geschlossenen Augen schnappt Charlotta sich die Tüte und versteckt sie unter der Decke. Eine kichernde Rangelei entbrennt. Später ist das Bett voller Krümel und die leichte Spannung von gestern Abend zum Fenster raus. Während Charlotta duscht, guckt Emilia sich im Zimmer um. Das macht sie ganz ohne schlechtes Gewissen. Charlotta dürfte das bei ihr auch. Auf dem Schreibtisch entdeckt sie
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