Boeser Traum
einen bunten Prospekt. Viele lachende Schüler, modern eingerichtete Klassenzimmer, eine Bibliothek mit vielen Computerarbeitsplätzen, Pferde auf einer Koppel, Ballerinas an einer Stange. Sie müht sich durch den französischen Text, weià aber natürlich, was sie da vor sich hat. Als Charlotta in ein Handtuch gewickelt mit noch nassen Haaren reinkommt, hält Emilia den Prospekt hoch.
Charlotta nickt. »Genau. Davor musst du mich bewahren.«
»Wieso sind da Pferde zu sehen?«
»Weil das zu dem besonderen Angebot dieser reizenden Einrichtung gehört. Man kann da sogar reiten.«
»Reiten ist total blöd und macht einen breiten Hintern.«
»Den kann ich mir ja dann beim Ballett wieder abtrainieren«, grinst Charlotta.
»Ich verstehe deine Eltern echt nicht. Das ist echt eine total bescheuerte Idee von ihnen.«
Charlotta zieht eine Augenbraue hoch und doziert mit hoher Stimme: »Kind, deine Ausbildung ist einfach immens wichtig. Das ist der Grundstein für dein späteres Leben. Und gerade in der globalisierten Welt sind Fremdsprachenkenntnisse Voraussetzung für die Karriere. Wir möchten einfach, dass du später alle Möglichkeiten hast und uns nicht vorwirfst, zu wenig in deine Bildung investiert zu haben.« Sie verdreht die Augen, lässt das Handtuch fallen und sucht sich ein paar Klamotten zusammen.
Emilia schüttelt nur den Kopf. »Wahrscheinlich lassen die sich das sogar richtig was kosten«, mutmaÃt sie.
»Was glaubst du! Das ist schweineteuer. Meine Mutter will demnächst wieder halbtags arbeiten. Ich bin sicher, das macht sie auch, damit genug Geld in die Kasse kommt.«
»Die werden sich noch freuen über den Geldsegen demnächst. Was die an Kohle durch uns sparen«, lacht Emilia.
Charlotta beugt sich zur Freundin runter. »Sie werden ja sogar denken, dass sie das Lösegeld gespart haben, weil ihre Tochter so schlau und so schnell ist und sich selber befreien konnte«, sagt sie leise.
»Stimmt. Aber jetzt komm mal in die Gänge. Wir sind spät dran, Sarah und Ann warten schon am Bahnhof auf uns.«
Zu viert haben sie diesen anstrengenden Tag geplant: erst Power-Shoppen in Düsseldorf und danach gehtâs zum groÃen Fest im kleinen Park. Emilia hatte sich ausgerechnet für diesen Freitag mit einem Kinderschminkstand angemeldet.
Charlotta wollte ein bisschen meckern, aber Emilia hatte sie mit einem Ausruhen kannst du dich in den nächsten Tagen ja wohl genug zum Schweigen gebracht.
Als sie sich mittags eine kalte Cola gönnen und sich ausgiebig ihre Beute in Form von Shirts und Shorts ansehen, guckt Emilia Charlotta ganz direkt in die Augen. »Stell dir nur mal eine Sekunde vor, dass wir das demnächst nicht mehr machen könnten.«
Charlotta sagt nicht, dass sie das ja eigentlich doch könnten, weil ja gerade Ferien sind. Sie sagt nicht, dass sie vielleicht sogar an der Seine ihre Cola trinken könnten. Sie nickt nur. Sie erinnert sich noch genau daran, als Emilia vor ein paar Jahren zu ihr kam. Ihre Augen vom Heulen schon ganz klein und geschwollen. Ihre Eltern hatten ihr gerade mitgeteilt, dass sie sich trennen. Stundenlang hatte Emilia damals schluchzend auf Charlottas Bett gelegen, sich an deren Hand geklammert und gesagt: »Aber du gehst nie, oder? Du gehst nie!«
Alle wissen, wie sehr Charlotta ihre Freundin braucht.
Fast niemand ahnt, wie sehr Emilia Charlotta braucht.
Emilia verwischt noch ein bisschen rote Theaterschminke auf Charlottas Wange, lehnt sich zurück und sagt: »Fertig. Du siehst wirklich gruselig aus.«
Charlotta greift zum Handspiegel und schaut sich selber ins Gesicht.
»Das ist wirklich der Horror. Ich sehe aus, als würde ich jeden Moment verbluten.«
»Ich könnte dir noch eine schöne Einstichwunde an den Hals machen«, schlägt Emilia vor.
»Lass mal. Die Kids werden jetzt schon kreischend weglaufen, wenn sie mich sehen«, grinst Charlotta.
Und sie hat recht. Die ersten Kinder, die auf dem GroÃen Fest im kleinen Park auflaufen, machen einen groÃen Bogen um Charlotta. Aber ein bisschen fasziniert sind sie schon und so kommen sie alle nach und nach zum Schminkstand von Emilia. Die hat vor ein paar Monaten Body-Painting entdeckt und liebt es. Ab und zu übernimmt sie auch noch Kinderschmink-Jobs auf Festen und Feiern. So wie heute Nachmittag für das städtische Ferienprogramm. Aber sie ist es leid,
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